Fotos: Michael Hughes Aufmacher Martin Fensch
Martin Fensch

„Es wäre ein Fortschritt, wenn man ein uraltes Problem der Menschheits­geschichte digital lösen könnte“

Es gab mehrere Treffen. Das erste war zum Lunch im Pots, dem Hotelrestaurant vom Ritz Carlton. Da war Corona noch eine Epidemie in China. Nachdem diese zur Pandemie und der darauffolgende Lockdown überstanden wurde, gab es ein weiteres Treffen in der Peking Ente. Denn Martin Fensch hatte optimistische Nachrichten. Als Geschäftsführer von Pfizer ist er für Politik, Kommunikation und 30 patentfreie Medikamente verantwortlich

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Michael Hughes

Wenn heute der Name Pfizer auftaucht, denkt jeder an den Impfstoff gegen Covid 19. Wahrscheinlich werden Sie als Mitglied der Geschäftsführung und Verantwortlicher für Kommunikation ständig danach gefragt, wann er endlich marktfähig ist und ob die Menge für alle reicht?
Martin Fensch: Wir entwickeln in Kooperation mit BioNTech aus Mainz einen Impfstoff gegen Covid 19. Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend. Wenn alles gut geht, können wir damit rechnen, dass wir im Oktober die Zulassung einreichen können.

Was heißt das konkret?
Die bisherigen Daten aus den klinischen Phasen würden dann von der europäischen Zulassungsbehörde geprüft – bei einer positiven Entscheidung wäre der Impfstoff zugelassen und man könnte mit der Impfung beginnen.

Es gibt in dieser Hinsicht einen internationalen Wettbewerb. Und einzelne Staaten bieten enorme Summen um als erster den Impfstoff zur Verfügung zu haben. Wie sieht es bei Pfizer und BioNTech aus?
Es ist erst einmal wichtig, so schnell wie möglich einen Impfstoff zu entwickeln. Das stand und steht an erster Stelle. Inzwischen gibt es mit verschiedenen Staaten Vereinbarungen über Lieferungen nach einer Zulassung. Auch mit der EU laufen dazu Gespräche.

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„Gerade was die Forschung an Impfstoffen angeht, ist Deutschland sehr gut aufgestellt und in der Weltspitze vertreten. Aber an anderen Stellen sieht es nicht so gut aus.“

Hätte die Forschung der hiesigen Pharmaindustrie nicht viel früher an dem Thema arbeiten können? Kann man den Deutschen eine eher konservative Haltung gegenüber Innovationen unterstellen?
Gerade was die Forschung an Impfstoffen angeht, ist Deutschland sehr gut aufgestellt und in der Weltspitze vertreten. Aber an anderen Stellen sieht es nicht so gut aus. In der Digitalisierung und in der Gentechnik sind wir beispielweise hinterher. Neuland zu betreten, fällt uns Deutschen noch immer schwerer als anderen. Die Bereitschaft, das progressiv zu erkunden, ist in den USA ausgeprägter. Ich habe das in einem US-amerikanischen Unternehmen sehr zu schätzen gelernt und bin auch deshalb gerne bei Pfizer – dort stehen für neue Ideen alle Türen offen.

Deutschland und die EU als Schlusslicht?
Rankings machen Spaß, führen aber nicht immer weiter. In manchen Bereichen sind wir spitze, in anderen eher nicht. Wichtig ist das „Bigger Picture“: gegenwärtig erleben wir ein sogenanntes Duopol, mit den beiden Polen China und USA. Diese zwei mächtigen Zentren entfalten eine immense Dominanz unter anderem in der Forschung. Europa ist dagegen fragmentiert und tut sich schwer, Größeneffekte zu generieren. Man sieht den Duopol auch sehr gut am Beispiel der großen Digitalunternehmen. Die sitzen in aller Regel entweder in den USA oder in China.

Was bedeutet das für die Pharmaindustrie und konkret für Pfizer?
Die Digitalisierung ermöglicht im Bereich der medizinischen Forschung neue Optionen. Es können z.B. sehr strukturiert die Versorgung sowie Therapieverläufe erfasst werden. Daraus kann man bessere Voraussagen treffen, Wirkungen nachvollziehen und auch neue Entwicklungsansätze finden. Auch diese Forschung findet hauptsächlich in den USA und in China statt. Natürlich kann man das Ökosystem wie wir es aus Kalifornien kennen, hier nicht imitieren. Auch die Art und Weise, wie China die Digitalisierung betreibt, ist sicherlich nicht die Form, die wir jetzt in Europa sehen wollen. Europa müsste selbst einen eigenen Weg finden, wie es auch große Datenmengen im Bereich der Gesundheits­wissenschaft aufbauen und für Forschungszwecke zur Verfügung stellen kann. Sonst ist Europa von diesen Forschungsgebieten ausgeschlossen. Das heißt dann: Zwei, drei Schritte später müssen wir die Ergebnisse importieren. Wir sind dann nicht mehr Teil dieser Wertschöpfungsketten. Wir haben keine Mitsprache, keinen Einfluss wie das verteilt wird und was es kostet.

Was ist mit der Corona-App? Das ist doch eine durchaus digitale Leistung, die sich international behaupten kann?
Ja, absolut! Sie ist gut gemacht und sehr schnell entwickelt worden. Man sollte da nicht so skeptisch sein. Es gab noch ein paar kleine Macken. Das ruckelt sich zurecht. Schön wäre es, wenn viele diese App nutzen würden. Sodass sie ihre flächendeckende Wirkung entwickeln kann. Denn bisher müssen die Gesundheitsämter händisch die Kontakte nachverfolgen. Die App wäre dabei eine Erleichterung und eine willkommene Ergänzung.

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„Historisch sind einige Mittel der Eindämmung von Epidemien und Pandemien gleichgeblieben: social distancing und Quarantäne sind bewährte Methoden.“

Bisher wird jedoch auf klassische Methoden gesetzt.
Historisch sind einige Mittel der Eindämmung von Epidemien und Pandemien gleichgeblieben: social distancing und Quarantäne sind bewährte Methoden. Hier wäre es ein Fortschritt, wenn man ein uraltes Problem der Menschheitsgeschichte digital besser lösen könnte.

Thema Gentherapien, auch hier preschen die USA und China in der Forschung nicht ganz unproblematisch vor.
Es gibt Krankheiten, die durch Gendefekte ausgelöst werden. Hier setzt die Gentherapie an. Man setzt ein maßgeschneidertes Gen in den Menschen ein und repariert so im Erfolgsfall den Defekt, sodass der Patient nicht mehr an der Erkrankung leidet oder diese abgeschwächt wird. Ich hoffe sehr, dass Deutschland und Europa in solchen Zukunftsfeldern eine Rolle spielen werden. Denn wir wollen doch Innovation, wir wollen Forschung, wir wollen Wirkstoffe, die hier entstehen.

Die erste Innovation des US-amerikanischen Unternehmens Pfizer ist mittler-weile nunmehr 170 Jahre alt und kam von Auswanderern.
Der Apotheker Karl Pfizer und sein Cousin und Konditormeister Karl Erhart stammten aus Ludwigsburg, aus Baden-Württemberg. Sie waren klassische 1848er. Als es ihnen nach der gescheiterten Revolution in Deutschland zu eng wurde, sind sie in die USA ausgewandert, um dort ihr Geschäft aufzubauen. Damals war in den USA ein großer Teil der Bevölkerung von Würmern befallen. Es gab zwar ein Medikament, das recht gut half und hilft, aber es schmeckte so unglaublich schlecht, dass vor allem Kinder es nicht gerne einnehmen wollten. Da hatte der Konditormeister eine gute Lösung und verpackte das Mittel in einen süßen Mantel. Später war Pfizer dann die erste Firma, die im industriellen Maßstab mittels Fermentation Zitronensäure herstellen konnten. Und als die Penizilline kamen, hatte Pfizer das technische Know-how, diese in großen Mengen herzustellen.

Heute finden Forschung und Entwicklung in ganz anderen Dimensionen statt. Zum Teil in Kooperationen und zum Teil werden auch Ansätze eingekauft.
Wir haben beispielsweise große sogenannte Akzeleratoren. In La Jolla, in Kalifornien, sitzt unsere Krebsforschung. Da bieten wir Firmen die Möglichkeit, an unsere Struktur anzudocken, unsere Möglichkeiten und unsere Ressourcen zu nutzen. Wir entwickeln dann gemeinsam deren Ansätze weiter und wenn die Ergebnisse vielversprechend sind, dann einigt man sich und verfolgt das zusammen weiter. Oder man sagt dann an einem bestimmten Punkt, das ist für den Partner nicht mehr interessant oder für uns nicht mehr interessant, und dann trennt man sich wieder.

Akzelerator – das funktioniert ähnlich wie Co-Working-Space und Start-up?
Nicht ganz. Zwar gehören Arbeits- und Laborflächen dazu, aber der wahre Benefit ist der Zugang zu unseren Ressourcen: Know-how, Technik, Beratung, Zusammenarbeit. Start-ups heißen bei uns übrigens meist BioTechs. Das sind Firmen und ihre Forscher, die sich in kleineren Größenordnungen auf wenige Ansätze konzentrieren und die zunächst zu einem Proof of Concept, wie es bei uns heißt, führen wollen. Dass man also nachweisen kann, dass diese Produkte, diese Medikamente vielversprechend sind, Menschen zu helfen. Oft suchen BioTechs dann Kooperationspartner, die über die Ressourcen verfügen, ein Medikament zuzulassen und zu vermarkten. Wir selbst wiederum versuchen nicht mehr, alles allein im Haus zu machen, sondern arbeiten mit universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, mit BioTechs und anderen Firmen zusammen. Es ist sehr viel bunter und vielfältiger geworden. Und auch internationaler.

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„Das ist das Kernmodell, die DNA von Pfizer. Wir forschen, entwickeln Produkte und investieren Gewinne wieder in die Forschung – das ist der Kreislauf, den wir aufrechterhalten.“

Pfizer ist weltweit aufgestellt, mit verschiedenen Teams. Zudem existieren eigene große Labore?
Genau. Wir investieren rund acht Milliarden Dollar in die eigene Forschung. Das ist das Kernmodell, die DNA von Pfizer. Wir forschen, entwickeln Produkte und investieren Gewinne wieder in die Forschung – das ist der Kreislauf, den wir aufrechterhalten.

Die Pharmaindustrie arbeitet in einem hochsensiblen Bereich. Es geht um Gesundheit. Menschen sollen wieder gesund werden oder Linderung erfahren.
Medikamente und Impfstoffe sind keine Konsumgüter. Das Besondere ist letztlich, dass bei dem, was wir tun, wir Teil von verschiedenen Systemen sind. Mit der Versorgung der Patienten und auch der Bezahlung über die Krankenkassen sind wir Teil des Sozialsystems. Und dann sind wir natürlich auch Teil eines Marktsystems. Das heißt, wie bewegen uns in einem kompetitiven Umfeld, in dem wir uns als Unternehmen behaupten müssen. Wie andere Wirtschaftsunternehmen auch, wollen wir erfolgreich sein, müssen unsere Investitionen, die Gehälter unserer Mitarbeiter und unsere Forschungsausgaben finanzieren. Weiterhin sind wir Teil des Wissenschaftssystems – weil wir selbst forschen, weil wir mit Forschungseinrichtungen kooperieren. Diese Breite ergibt eine entsprechend hohe Zahl an Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten wollen und Lösungen finden müssen. Da gibt es natürlich auch verschiedene Interessenslagen, die es auszugleichen gilt, um Lösungen zu finden, damit die Patienten dann die für sie bestmöglichen Therapien bekommen.

Aus der Sicht des Individuums bedeutet Pharmaindustrie eines: Ich nehme Medikamente, werde gesund und das ohne Nebenwirkungen.
Den Anspruch hat jeder. Auch persönlich wäre mir das am liebsten. Aber Medikamente haben Wirkungen und damit auch Nebenwirkungen. Die werden kontinuierlich von uns und der zuständigen Behörde erfasst und bewertet. Sichtbarer Ausdruck dieses Sicherheitssystems ist der Beipackzettel. Eine Erkrankung fordert von uns häufig zwischen verschiedenen Optionen zu wählen, die alle nicht dolle sind. Wir hoffen jedenfalls, mit unseren Medikamenten, Menschen einen Weg zu eröffnen, gesund zu bleiben, ihre Erkrankung zu überwinden oder besser mit ihr leben zu können. Das ist unser Ziel.

Pfizer Deutschland
www.pfizer.de