Fotos: Selina Schrader Marion Kracht Aufmacher
Marion Kracht

„Wir versauen die Zukunft unserer Kinder“

Marion Kracht steht seit ihrer Kindheit vor der Kamera und auf der Bühne – bis heute äußerst erfolgreich. Sie lebt vegan. Wie es dazu kam und was es bedeutet, verantwortlich mit seinem Umfeld und der Umwelt umzugehen, erklärt sie bei einem gemeinsamen Frühstück

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Wir haben uns vor Jahren getroffen, als Sie ihr veganes Unternehmen gegründet haben. Wissen Sie noch, wann das genau war?
Marion Kracht: Das habe ich verdrängt. Ich habe meine gesamte Energie und viel Geld in dieses Projekt gesteckt. (lacht)

Das war eines der ersten Projekte überhaupt, das sich mit veganer Ernährung beschäftigt hat.
Das ist richtig. Die eigentliche Idee war, einen vegetarischen Metzger zu etablieren. Da hieß es: Kannst du voll vergessen, das geht nicht. Dann hörte ich immer wieder von allen Veganern und Vegetariern oder Menschen, die überhaupt kochen wollen, dass die Zubereitung von pflanzenbasierten Gerichten kompliziert sei. Einfach mal ein Schnitzel in die Pfanne hauen sei doch so einfach. Daraufhin habe ich die Produktlinie Vevenga entwickelt, wo man von der Vorspeise über das Zwischengericht und die Hauptspeise bis hin zur Nachspeise alles innerhalb von zehn Minuten auf den Tisch bringen konnte. Und diese Produkte waren vegan und weizenfrei. Und wieder hieß es, dass das nicht funktioniert, dass das keiner kauft.

Aber Sie haben sich durchgesetzt und 2014 ihre vegane Produktlinie vorgestellt.
Ich weiß noch genau, wie wir mit acht Quadratmetern auf der Bio-Fachmesse in Nürnberg standen und es machte „Wusch“ (lacht) und der Stand war voll. Unser Berater hat hinterher erklärt, so etwas hätte er in seinem Leben noch nicht erlebt. Das hat mich sehr gefreut, weil die Idee, die Umsetzung und die Rezepte von mir kamen. Ich habe nur die Produktion in andere Hände gegeben. Und dadurch, dass es so vielfältig war, gab es verschiedene Produktionsstandorte und das war sozusagen ...

... der Untergang.
Genau, das war nicht machbar. Weil wir, mein Mann und ich – er Architekt und Baubiologe, ich Schauspielerin – davon viel zu wenig Ahnung hatten. Und wir waren auch nicht gut beraten. Wir hätten noch jemanden haben müssen, der finanziell dahintersteht und das anders strukturiert. Und das hatten wir nicht. Wir waren bei denn’s, LPG, Bio Company und Perfetto – die waren bei uns am Stand, die haben sich alle die Finger danach geleckt. Da waren wir überall drin, das heißt, wir waren eigentlich gut aufgestellt, das war super.

Ihr seid also auf dem Markt gut gelandet.
Ja. Auch die Reformhäuser haben uns als Vorzeigelinie in die Läden brin­gen wollen. Aber ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass viele ihren Job nicht so gut können. Wir haben die Reißleine gezogen, bevor wir damit untergegangen wären. Ich hätte auch meinen Beruf quasi aufgeben müssen, weil das Projekt einfach so viel Zeit in Anspruch genommen hat. Im Nachhinein muss ich sagen: Es war gut so. Denn als dann diese Vegan-Welle entstand, wären wir natürlich gnadenlos überrannt worden.

Gegen die großen Firmen wären Sie nicht angekommen?
Die großen Fleischfirmen, die plötzlich vegan produziert haben, hatten ihre Platzierungen schon in den Kühlregalen. Die Kühlregale sind ja immer das, wo man hinein will und was quasi das Teuerste ist. Und so günstig hätten wir ja gar nicht produzieren können – alles handgemacht, alles ohne Konservierungsstoffe. Da hätten wir nie mithalten können, bei dieser Preisgestaltung.

Aber Sie sind am Thema vegan dran geblieben?
Ich habe zwei Kochbücher auf den Markt gebracht. Eins mit ausschließlich veganen und/oder vegetarischen Rezepten, sodass es bei der Zubereitung jeweils zwei Möglichkeiten gibt. Das Zweite besteht aus Rezepten und Geschichten, die ich erlebt und niedergeschrieben habe, als ich versucht habe, weltweit etwas Vegetarisches zu bestellen. Dabei sind sehr lustige Anek­doten entstanden, die ich jetzt übrigens auch als Hörbuch aufnehme. Das kommt Ende Januar auf den Markt und wird zum Download angeboten.

Sie waren anscheinend zu früh mit der Idee. Zu der Zeit zählte vegetarisches und veganes Essen noch zu einer Nische.
Das ist das Gleiche wie bei der Klamottenlinie. Ich habe ja auch zwei vegane Kollektionen entwickelt. Auch da war ich zu früh. Das war für die Firma Lana, da habe ich eine Winter- und eine Sommerkollektion kreiert und auf der Modewoche bin ich auch selbst gelaufen. Da kamen Engländer und sagten: „Geil, wir wollen die Sachen haben, fantastisch.“ Aber Lana hatte gar nicht bedacht, dass man dafür auch einen eigenen Vertreter losschicken muss, denn viele haben das mit der veganen Mode nicht verstanden. Zum Beispiel bei der Winterkollektion war es sehr schwierig, einen warmen Wintermantel ohne Wolle herzustellen. Also hab ich mich erst einmal mit den ganzen Stoffen auseinandergesetzt und habe wie früher ganz dicke und fest gewobene Baumwolle benutzt, die einfach warm hält. Natürlich nicht bei 20 Grad Minus, da muss man dann schon noch etwas drunterziehen, aber um null Grad herum kann man diesen Wintermantel wunderbar tragen. Auch Sommerstoffe wie Tencel wurden in Deutschland öko- und biologisch produziert, also eine ökologische Linie, die auch vegan war. Aber auch da war es eben noch so, dass die Leute sagten: „Hä? Das verstehen wir jetzt nicht. Vegan, warum?“

Heutzutage hat sich das Bewusstsein weiterentwickelt. Viele sehen Fast Fashion eher kritisch.
Der ganze Überfluss ist so abstrus. Meine Mutter ist noch die Kriegsgeneration gewesen. Die hat mir zum Beispiel, was Essen angeht, beigebracht, dass man aus den Dingen, die im Kühlschrank sind, noch etwas zaubern kann. Ich habe mit der Deutschen Umwelthilfe zusammen – ich war im November Laudatorin beim UmweltMedienpreis – eine Aktion gestartet, wie man aus Resten überhaupt noch etwas machen kann; das wissen ja viele gar nicht. Also „Reste“ in Anführungszeichen. Alle möglichen Dinge kann man ja damit machen. Meine Mutter hat noch Socken gestopft, die wurden nicht einfach weggeschmissen. Meine Mutter hat mir diese Dinge mitgegeben.

Marion Kracht 1
„Als ich vor Jahren gesagt habe, dass fleischlose Ernährung auch Klimaschutz ist, da wurde ich müde belächelt.“

Ab wann waren Sie eigentlich weg vom Fleisch? Und was war der Auslöser?
Das war 1989. Ganz simpel gesagt: Ich war in Indien und habe gesehen, wie sie dort mit Fleisch umgehen. Wenn man Blumenkohl nicht richtig kühlt, ist es egal, aber bei einem Stück Fleisch, das kann richtig schiefgehen. Ich wollte gesund bleiben und habe vegetarisch gegessen. Das ist mir gut bekommen.

Wobei man sagen muss, dass in Indien vegetarisches Essen eine andere Bedeutung hat.
In Indien in den Restaurants werden die Speisen in veg und non-veg unterteilt. Der Hauptbegriff ist eigentlich das Vegetarische. Ich habe angefangen, mich damit zu beschäftigen. Weil ich auch gesagt habe, ich kann Tiere nicht umbringen. Wobei ich bei Moskitos eine Ausnahme mache. (lacht) Ich hatte früher manchmal Gelenkschmerzen im Sommer, bis ich darauf gekommen bin, dass das vom Grillen kommt. Das haben viele Menschen, weil man dabei sehr viel Fleisch isst. Dann wurde mir mehr und mehr klar, was Fleischproduktion mit unserer Umwelt macht und mit dem Klima. Als ich vor Jahren gesagt habe, dass fleischlose Ernährung auch Klimaschutz ist, da wurde ich müde belächelt.

Weil das Bewusstsein damals noch nicht vorhanden war.
Gar nicht. Das sind Erlebnisse und Erfahrungen, die ich in meinem zweiten Kochbuch beschreibe. Unter anderem war ich 1997 oder ’98 bei Talk im Turm eingeladen, als es diese BSE-Krise gab. (Bovine spongiforme Enzephalopathie, kurz BSE, auf Deutsch: „Bei Rindern auftretende schwammartige Rückbildung von Gehirnsubstanz“, umgangssprachlich auch Rinderwahn genannt, ist eine Tierseuche, d. Red.) Ich dachte, ich wäre als Quotenfrau eingeladen worden, damals fing man an, auch ein paar Frauen mit einzuladen. Und das war sehr amüsant. Es war eine Live-Sendung und ich konnte aus dem Augenwinkel auf einen Monitor sehen. Immer wenn jemand im Bild zu sehen war, dann wurde da z. B. Hubert Meyer, Journalist, eingeblendet. Und als ich zu sehen war, stand da Marion Kracht, Vegetarier. Vegetarier bin ich also quasi von Beruf. (lacht) Und da wurde ich ernsthaft gefragt – und das während der BSE-Krise –, wie lange ich das denn noch machen müsste. Als ob ich krank wäre und eine Kur machen müsste.


Marion Kracht

engagiert sich bei verschiedenen sozialen Projekten und hat dafür 2002 das Bundesverdienstkreuz erhalten. Sie war zwei Jahre lang stellvertretende Vorsitzende des Innovationsbeirats des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie ist Mitglied bei Greenpeace, der Deutschen Umwelthilfe und der Berliner Tafel, außerdem seit kurzem bei den Grünen. Sie unterstützt die internationale Umweltschutzorganisation SeaCology und ist seit 2009 Kuratoriumsmitglied beim Kinderhilfswerk Plan International, bei dem sie sich seit 25 Jahren engagiert und mehrere Patenkinder hat. Ab Januar 2020 macht sie den Podcast für Plan International.



Das ist jetzt 20 Jahre her. So konsequent wie heute waren Sie damals aber noch nicht, oder?
Am Anfang habe ich noch Fisch gegessen, weil ich dachte, Fische merken nichts. Irgendwann hab ich das nur noch gegessen, wenn ich vor Ort war, also einmal im Jahr, am Meer.

Wie steht es bei Ihrer Familie? Sind sie auch alle Vegetarier?
Mein erster Sohn ist von Geburt an Vegetarier und hat nie Fisch und Fleisch gegessen. Er hat immer alles ausgespuckt, der mochte das nicht. Und er trank auch keine Milch, weil er darauf allergisch reagierte. Da hatte ich auch große Probleme, weil Ärzte und andere Leute damals meinten, dass das arme Kind Schäden bekommt. Mein zweiter Sohn, der hat Fleisch gegessen – nur ab und an Bio, wenn ich ihm das gekauft habe. Und er war im Alter von vier Jahren mit mir in Indien. Da lagen dann die Fische auf dem Marktstand und man musste sich die aussuchen. Er fand das so schrecklich, weil das ganze Tier da lag. Und da habe ich aufgehört Fisch zu essen. Im Alter von sieben Jahren fragte er, was das sei, was er da äße. Ich antwortete ihm ehrlich, dass es Schwein sei. Das fand er entsetzlich. Dann hat er nur noch Kalbsschnitzel bestellt. Nach einer Weile wollte er wieder wissen, was er da isst. Darauf hat er dann das Fleischessen von sich aus komplett eingestellt. Und mein Mann hat dann bei dem Kleinen mitgezogen. Wobei ich zuhause eh nur vegetarisch gekocht habe. Nur ab und an, wenn wir mal gegrillt haben, hab ich für die Männer Bio-Fleisch gekauft, aber das ist wirklich schon sehr lange her. Mein Sohn ist jetzt 17, das heißt, seit zehn Jahren isst unsere gesamte Familie vegetarisch. Und mein Mann und ich ernähren uns jetzt auch vegan – und unser großer Sohn auch.

Wie haben Sie das alles unter einen Hut gebracht? Schauspielerin mit zwei Kindern, eine Food-Linie, eine Mode-Linie ...
Als ich die Produkt-Linie hatte, da habe ich die Vollkrise gekriegt. Da habe ich auch gemerkt, das ist nicht kompatibel. Vor allen Dingen wenn man sich nicht auskennt. Ich habe ja nichts studiert, was irgendwie mit Wirtschaft oder Business zu tun hat. Und man ist ja dann in totaler Abhängigkeit von den Beratern. Und das ist eine ganz schlechte Situation. Nicht, dass ich das jetzt jemand anderem in die Schuhe schieben will, ich bin ja selber dafür verantwortlich, aber ich kann nur jedem raten, sich zumindest jemanden ins Boot zu holen, der davon eine Ahnung hat.

War das mit dem vegetarischen Essen nicht auch beim Drehen ein Problem? Die Caterer haben sich ja auch erst einmal darauf einstellen müssen.
Früher war das echt ein Problem. Da wurde ich ungemütlich, wenn ich immer nur die Beilagen bekam. Ich sagte, ich habe auch zwölf, vierzehn, sechzehn Stunden gearbeitet, ihr macht wohl Witze. Ich habe manchmal den Dreh gestoppt, nachdem ich immer wieder darauf hingewiesen habe, dass ich und alle anderen Vegetarier am Set etwas Angemessenes zu essen haben wollen und nichts kam. Damit habe ich mich nicht beliebt gemacht.


„Ich will damit nur sagen, dass Nachhaltigkeit für mich immer schon ein Thema war und ist. Trotzdem ist ja nichts passiert.“

Sie haben letztes Jahr einen Kinofilm gedreht.
Ja, „Schlaf“, ein Psycho-Thriller, also ein Genrefilm, was in Deutschland ja selten ist, mit einem traumhaften Regisseur, Michael Venus. Da war es zum ersten Mal so, dass ungefähr zwei Drittel Vegetarier waren. Und der Caterer hat fantastisch gekocht, großartig. Aber ich habe letztes Jahr auch bei einer Produktion gedreht, wo noch lauter Plastikbecher am Drehort verwendet wurden. Das Gleiche war schon bei einer Produktion vor 29 Jahren der Fall. Damals war mein Vorschlag, dass jeder seinen Becher mit zum Dreh bringt. Da hieß es, wir haben niemanden, der abwäscht. Da hab ich gesagt, okay, dann mach ich das. Also habe ich abgewaschen. Und beim zweiten Mal kamen sie und sagten, Marion, wir müssen drehen. Ich sagte, ich bin noch nicht fertig mit dem Abwasch. Da hat sich dann ganz schnell jemand gefunden. Ich will damit nur sagen, dass Nachhaltigkeit für mich immer schon ein Thema war und ist. Trotzdem ist ja nichts passiert. Die Bundesregierung hat es bis jetzt nicht geschafft, irgendetwas zu verändern.

Vielleicht haben wir da mit Frau Klöckner auch die falsche Person sitzen. Stichwort Nestlé.
Das ist meine spezielle Freundin. Da denkt man doch, das kann nicht ihr Ernst sein. Das ist leider genauso wie bei diesem meiner Meinung nach vollkommen unfähigen Verkehrsminister, der diese Unverschämtheit mit den Maut-Verträgen zu verantworten hat. Früher wäre man bei so etwas zurückgetreten. Ich finde es skandalös. Das sind unsere Steuergelder, die sie verschachern.

Zurück zum Film „Schlaf“. Der kommt dieses Jahr in die Kinos.
Ja, sie sind gerade in der Endfertigung. Er ist mit Sandra Hüller und die Hauptrolle spielt Gro Swantje Kohlhof, eine junge Schauspielerin, die auch in München an den Kammerspielen ist. Das ist der erste lange Film von Regisseur Michael Venus. Ich hab von ihm Kurzfilme gesehen, die alle großartig sind. Und es war das beste Drehbuch, das ich seit – ich kann es gar nicht sagen wie lange – gelesen habe. Ein fantastisches Drehbuch. Ich wünsche ihm, dass er großen Erfolg hat. Mir wünsche ich das natürlich auch, aber bei ihm würde ich auch einen Kaktus im Hintergrund spielen. (lacht) Und vor allen Dingen ist er nicht nur ein wunderbarer Regisseur und Autor, sondern auch als Mensch großartig. Man muss sich bei den Dreharbeiten nicht anschreien, man muss nicht alle knebeln. Arbeiten ist Lebenszeit und wenn man die mit so jemandem zu tun hat, ist es einfach wunderbar. Ich finde, in unserer Gesellschaft hat sich der Ton und die Art miteinander umzugehen, negativ entwickelt.

Können Sie das konkretisieren?
Zum Beispiel bei Autofahrern. Ich bin gestern von einem Busfahrer fast umgefahren worden. Ich fuhr mit dem Fahrrad auf der Busspur und er hat mich ganz knapp überholt und ist zu seiner Haltestelle gefahren, hat das Fenster runtergemacht und gesagt: Na, dich müsste man ja überrollen. Da dachte ich nur, na vielen Dank, was für ein charmanter Busfahrer. Was ist das denn für ein Ton? Ich wusste auch gar nicht, was ich falsch gemacht habe. Und ich finde, dass viele Leute immer sofort aggressiv werden. Ich meine, vielleicht mache ich ja auch mal was falsch, das kann ja sein, vielleicht habe ich ja irgendwas übersehen oder so, aber dann gleich in diesem Ton?

Wahrscheinlich ist es in Berlin für den Verkehr einfach zu eng. Die Leihräder und E-Roller sind jetzt auch noch dazugekommen.
Auch das läuft nicht rund. Wenn ich so was fahre, dann stelle ich das doch auch so ab – wie ich mein Fahrrad –, dass es niemandem im Weg ist. Ich empfinde solche Verhaltensweisen als Verrohung.

Marion Kracht 2

Mit Freiwilligkeit ist da wenig zu machen.
Immer öfter taucht der Begriff Öko-Diktatur auf. Ich glaube, es geht leider oft nur über Bestimmungen. Es hat ja auch nichts gebracht, den Großkonzernen anzuraten, mehr Frauen in Führungspositionen zu lassen. Es ist doch so gut wie gar nichts passiert. Ohne Druck passiert nichts. Man erinnere sich: Vor ein paar Jahren waren es die Grünen, die vorgeschlagen haben, doch einen Tag in der Kantine kein Fleisch anzubieten. Da gab es einen gigantischen Aufschrei, als ob man allen Leuten das Essen wegnehmen wollte. Das ist doch Blödsinn. Jeder kann doch abends fünf Schnitzel essen, wenn er das unbedingt will.

Ob da Verbote weiterhelfen?
Den Leuten etwas wegnehmen bringt nichts, sondern man muss ihnen Alternativen vorgeben. So wie wir jetzt dieses gute Frühstück essen, das zufällig vegan ist, muss man Alternativen schaffen. Und da ist die Politik gefragt. Es geht nicht anders. Das ist wie bei den Plastiktüten. In Afrika gibt es mehrere Länder, in denen die strikt verboten sind. Und wenn du eine Plastiktüte benutzt und die auf die Straße wirfst, dann hast du richtig ein Problem, dann musst du zahlen. So müsste das auch bei uns sein. Aber was tun wir? Wir versauen die Zukunft unserer Kinder. Ich finde das eine Frechheit. Warum wird die Fleischindustrie finanziert und unterstützt? Eigentlich geht das nicht. Das ist wie beim Rauchen. Wenn man selber rauchen will, okay, aber nicht neben mir, wenn ich das einatmen muss.

Das Rauchverbot ist ja schneller und unkomplizierter über die Bühne gegangen, als man geglaubt hat.
Ja. Ganz viele Leute gehen halt auf die Straße und stehen da zusammen. Es ist dann manchmal so, dass man als einziger Nichtraucher alleine im Lokal sitzt ... (lacht)

Auch beim Dieselverbot kommt die Bundesregierung nur schleppend voran.
Ein Skandal, es wurde bewusst manipuliert, nur um Geld zu machen. Mein Onkel ist an einem Krebs gestorben, bei denen gesagt wurde, das wäre eine Art Lungenkrebs, der durch den Feinstaub entsteht. Und dann muss ich sagen, das ist Körperverletzung. Das geht doch nicht. Und für Kinder erst recht nicht. Das finde ich skandalös, dass man das durchgehen lässt. Und das Gleiche gilt übrigens, tut mir leid, aber da werde ich auch immer radikaler, bei der Massentierhaltung. Okay, wenn man im Bioladen Fleisch holt, das ist legitim, es muss nicht jeder Vegetarier werden. Aber alles andere? Die EU hat Deutschland verklagt wegen der Nitratwerte im Grundwasser, das ist alles versaut und das trinke ich als Vegetarier ja auch. Das finde ich nicht akzeptabel. Und da passiert gefühlt nichts!


„Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Das ist ein bisschen wie der Waffenbesitz in Amerika.“

Und trotzdem hatte z. B. VW beste Verkaufszahlen während des Dieselskandals.
Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Das ist ein bisschen wie der Waffenbesitz in Amerika. Wenn ich mal Auto fahre, dann fahre ich auch sehr gerne schnell. Aber es ist natürlich schwachsinnig, es führt zu viel mehr Unfällen. Das weiß man doch. Also warum führt man nicht diese 130 Stundenkilometer ein? Nein, das ist genau wie bei den Waffenlobbyisten in Amerika. Und dann springt natürlich die AfD mit auf und sagt, wir kämpfen für den Diesel. (lacht) Da denke ich immer, wo bin ich hier?

Es passiert zu wenig und zu langsam und es ist anscheinend politisch nicht gewollt.
Genau. Ich weiß noch, ich hatte damals, als ich diese Produktlinie hatte, auch mit Bauern gesprochen. Und da ist schon das große Problem gewesen, dass zum Beispiel Milchbauern gesagt haben, wir mit unseren paar Kühen, wir haben gar nicht die Möglichkeit, über die Runden zu kommen; nur wenn wir Förderungen bekommen. Und dazu mussten sie ganz viele Kühe haben. Das heißt, sie haben Gelder aufgenommen, um sich eine Menge an Kühen anzuschaffen. Die Milch wird aber quasi nach China verschifft oder weggeschüttet. Und jetzt haben sie aber natürlich diese riesigen Kredite, wo sie sagen, um Gottes willen. Mit den paar Kühen vorher wäre mehr oder weniger alles gut gewesen, wenn das anständig bezahlt worden wäre.

Vor ein paar Wochen waren Bauern mit ihren Traktoren in Berlin und haben auf ihre Situation aufmerksam gemacht.
Heutzutage Bauer zu sein ist bestimmt nicht lustig. Das System der Subventionenverteilung funktioniert so überhaupt nicht mehr. Insofern verstehe ich, dass die Bauern sagen, wir sind jetzt die Buhmänner. Einer der Prämierten bei der Deutschen Umwelthilfe hat einen Film gemacht über Honig, über die Bienen, „Deutschland summt“. Der hat zum Beispiel – ich weiß gar nicht, ob es so was in Deutschland gibt – Leute in England gefunden, die beraten die Bauern, indem sie sagen, ein Streifen deines Feldes bleibt frei. Dort pflanzen wir wilde Blumen, um da Insekten wieder anzulocken. Und dann haben sie festgestellt, wenn nur acht oder neun Prozent des Feldes dafür weggenommen werden, bleibt der Ernteertrag bei plus/minus null. Weil die vielen Insekten den Acker so viel besser befruchten und bestäuben, dass es keinen Verdienstausfall gibt.


„Die Politiker sollten endlich das umsetzen, was ihnen schon lange von renommierten Wissenschaftlern empfohlen wird.“

Es sieht also doch nicht alles so düster aus? Es gibt also Hoffnung?
Also, wenn ich mit meinem Sohn spreche, dann ist der keineswegs optimistisch. Im Gegenteil. Der sagt immer, warum regst du dich darüber auf, das ist doch logisch. Klar haben die Lobbyisten die Politiker in der Hand. Wo ich sage, um Gottes willen, wie redest du mit deinen 20 Jahren? Ich bin bei der großen Fridays-for-Future-Demo mitmarschiert. Das war toll, wie ich die Kinder um mich herum gesehen habe und die Jugendlichen. Da ist mir so das Herz aufgegangen, zu sehen, wie eine junge Generation ihre Stimme erhebt.

An der Protagonistin Greta Thunberg haben sich dann einige Politiker abgearbeitet.
Was für eine Schweinerei, auch von unseren Politikern, dieses Mädchen Greta Thunberg, die so eine Bewegung zwar nicht alleine gestartet hat, aber in der Öffentlichkeit steht, unsachlich zu diskreditieren. Was dieses Mädchen bewegt, wie sie da steht, mit welcher eisernen Disziplin sie das durchzieht, das ist großartig. Und Politiker haben nichts Besseres zu tun als dieses Mädchen zu beleidigen und runterzumachen und als dämlich hinzustellen? Da muss ich sagen, damit haben sie sich vollkommen disqualifiziert. Denn nicht die 16-jährige Greta muss wissen, was zu tun ist, welche Lösungen es zur Reduktion der Klimaerwärmung gibt, sondern die Politiker sollten endlich das umsetzen, was ihnen schon lange von renommierten Wissenschaftlern empfohlen wird.


Marion Kracht bei eat!berlin
Am 21. Februar 2020
Crime & Dine vegetarisch in der „Nacht der langen (M)Esser“
mit Marion Kracht, Elisabeth Herrmann und Arne Anker, www.eat-berlin.de


Kracht kocht

Kracht kocht
Vegetarisch-vegan
von Marion Kracht,
128 Seiten, avBuch im Cadmos Verlag


Kracht kocht weiter

Kracht kocht weiter
Köstliche Anekdoten an vegetarischen & veganen Rezepten,
von Marion Kracht,
112 Seiten, avBuch im Cadmos Verlag