Fotos: Kira Möller Aufmacher Uli Hanisch
Uli Hanisch

„Es sollte ein Raum werden, der alle anspricht“

Es war und ist ein faszinierender Ort. Clärchens Ballhaus hat nach 111 Jahren neu eröffnet. Uli Hanisch ist es gelungen, einen Raum zu gestalten, der eine Geschichte zwischen Vergangenheit und Gegenwart erzählt. Es bleibt unklar, ob Details authentisch sind oder inszeniert wirken – genau das macht die Atmosphäre auch des Restaurants Luna D’Oro so außergewöhnlich

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Kira Möller

Wie war das für dich? In welchem Zustand hast du das Ballhaus vorgefunden? Kanntest du es schon vorher?
Uli Hanisch: Ja, ich kenne das Haus natürlich schon lange. Ich bin jetzt kein Stammgast, kein Tänzer oder jemand, der regelmäßig hier ist, aber ich war seit den späten 90er-Jahren immer mal wieder hier. Ich habe diverse Veranstaltungen im Spiegelsaal miterlebt, war Gast bei Abschlussfesten. Das Haus war mir also sehr bekannt, auch wenn ich die Geschichte dahinter nicht in allen Details kannte. Aber, ich sage mal, so viel, wie ein guter Berliner über das Ballhaus weiß, wusste ich natürlich auch. Wir haben auch schon einmal für Babylon Berlin eine Szene im Spiegelsaal gedreht. Die war allerdings so abstrahiert, dass man den Raum im fertigen Film nicht wirklich erkennen konnte. Trotzdem fand ich den Spiegelsaal und das Ballhaus immer beeindruckend und habe es als eines der letzten erhaltenen Juwelen Berlins empfunden.

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„Jemand hatte die Idee, dass man statt eines Architekten oder Innenraum­gestalters vielleicht lieber jemanden aus dem Filmbereich ansprechen könnte.“

Wie gehst du an so einen Ort heran, der so eine lange Geschichte hat und keine Kulisse ist, sondern ein echter Raum, der für Jahrzehnte Bestand haben soll?
Das war tatsächlich das allererste Mal in meinem Leben, dass ich einen echten, existierenden Ort gestaltet habe. Ich habe bisher immer nur Filmsets gemacht, also fiktive Räume. Es war eine Premiere für mich und deshalb auch sehr aufregend. Und dann gleich so ein aufgeladener, historischer Ort in Berlin! Ich hatte verfolgt, dass das Ballhaus einen neuen Eigentümer bekommen hatte und sich etwas ändern würde. Viele Leute waren damals besorgt, ich selbst aber nur als Zuschauer aus der zweiten oder dritten Reihe, ohne wirklich involviert zu sein. Umso überraschender war es, als der Anruf kam. Es lief über mehrere Ecken. Jemand hatte die Idee, dass man statt eines typischen Architekten oder Innenraumgestalters vielleicht lieber jemanden aus dem Filmbereich ansprechen könnte. Jemanden, der Erfahrung mit historischen Räumen hat und gleichzeitig einen modernen Bezug herstellen kann.

Und dann haben sie dich gefragt?
Genau. Man wollte vermeiden, dass der Raum in eine museale oder kitschige Richtung geht oder in eine typische Erlebnis­gastronomie-Ästhetik abrutscht, die einfach nicht zu diesem Ort passt. Und so kam ich ins Spiel.

Kanntest du die Verantwortlichen vorab?
Nein, eigentlich kannte ich niemanden. Es gab ein erstes Treffen hier im Saal. Dabei habe ich mir angehört, was die Idee hinter dem Projekt ist: Der Raum sollte ein neues Kapitel aufschlagen, aber die gesamte Geschichte des Ballhauses so stark wie möglich weitertragen. Während des Gesprächs wusste ich plötzlich genau, was zu tun ist – ohne schon ein fertiges Bild vor Augen zu haben. Wir haben uns dann in die Vergangenheit des Ortes eingearbeitet, recherchiert, Referenzen gesammelt und schließlich ein visuelles Konzept entwickelt, das wir den Verantwortlichen präsentiert haben. Dieses Konzept war eigentlich schon ziemlich nah an dem, was heute zu sehen ist.

Wann habt ihr angefangen?
Das war im August oder September vorletzten Jahres. Ursprünglich war geplant, das Projekt bis Ende 2023 abzuschließen, aber dann wurde der Eröffnungstermin auf September 2024 verschoben.

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„Der große Ballsaal unten war im Vergleich zum Spiegelsaal immer der etwas grob­schlächtigere, rüpelhafte große Bruder.“

Wenn man jetzt reinkommt, hat man das Gefühl, der Raum verlangt Respekt. Es wirkt fast andächtig. Früher war das Ballhaus ja eher rau und ein bisschen berlinerisch „prollig“.
Das stimmt. Ich kannte früher vor allem den Spiegelsaal, den ich immer für einen der schönsten Räume in Berlin gehalten habe – vielleicht sogar in ganz Deutschland. Der große Ballsaal unten war im Vergleich dazu immer der etwas grobschlächtigere, rüpelhafte große Bruder. Er hatte etwas Provisorisches, das mit den Jahren seinen eigenen Charme entwickelt hat. Aber er wirkte auch sehr männlich, fast machohaft, was manchmal ein wenig unsympathisch war. Dieses Gefühl wollte ich verändern. Es sollte ein Raum werden, der alle anspricht und in dem die Geschichte spürbar bleibt, ohne dass er seinen Charakter verliert.

Bei der Recherche gab es überraschende Erkenntnisse.
Der Ort war historisch stark geprägt von Frauen in der Gastronomie, was wir durch ein Foto eines Treffens von zwölf führenden Gastronominnen in Berlin entdeckt haben. Diese Frauen unterstützten sich gegenseitig über Konkurrenzgrenzen hinweg – ein inspirierendes Bild von Solidarität.

Wie gelingt es, den sogenannten fast rüpelhaften Raum weiblicher und dekorativer zu gestalten?
Sitzbänke spielten eine zentrale Rolle, um die Struktur des großen Saals zu verändern. Sie schufen Inseln und eine intimere Atmosphäre, ähnlich wie in französischen Lokalen. Um der Gestaltung eine narrative Tiefe zu geben, wurde die Idee entwickelt, dass die Sitzbänke vielleicht alte Kirchenbänke sein könnten, die von Gemeinden aus der Umgebung stammen. Diese wurden mit Polstern in einer unerwartet lebendigen Farbe – etwa Purpur oder Kirschrot – modernisiert.

Auffällig sind auch die dunkle Eleganz und die Goldakzente.
Die Wände wurden absichtlich dunkler gestaltet, um den Raum für Abendveranstaltungen zu optimieren. Die Holzvertäfelung wurde bearbeitet, um den alten Lack zu entfernen und einen dunkleren, angegriffeneren Look zu erzeugen. Die Decke, ursprünglich mit einer Raufasertapete verkleidet, wurde freigelegt, wodurch verblasste goldene Oberflächen zum Vorschein kamen, die perfekt zum dunklen Konzept passten.

Ein weiteres wichtiges Detail der Raumgestaltung ist Licht als inszenatorisches Element.
Eine rein dekorative Beleuchtung mit Tisch- und Wandlampen reichte nicht aus. Es wurde ein modernes, elegantes Lichtsystem integriert, das mit Glaslinsen und Messingkörpern zeitlose Akzente setzt, ohne den historischen Charme des Raums zu stören. Die Deckenbeleuchtung wurde bewusst minimal gehalten, um störende Kabel zu vermeiden.

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„Ich als Szenenbildner betrachte einen Raum rückwärts. Der Architekt oder die Architektin denkt den Raum vorwärts.“

Was ist der größte Unterschied zu deinen bisherigen Arbeiten? Dieser Raum hier spiegelt Historie und Zukunft. Es ist das reale Leben, das sich hier im Restaurant abspielt.
Ich als Szenenbildner betrachte einen Raum rückwärts. Der Architekt oder die Architektin denkt den Raum vorwärts. Zum ersten Mal richte ich einen Raum ein, übergebe ihn an das Publikum oder die Gäste und weiß nicht, was in den nächsten zehn Jahren hier passieren wird. Welche Szenen sich hier abspielen, welche Bilder entstehen – darauf kann ich jetzt nur bedingt reagieren. Aber genau wie du sagst: Jetzt, nach einer guten Woche seit der Eröffnung, war ich am Sonntag mit meiner Familie hier, wir saßen zu viert zwischen den anderen Gästen. Das war ein unglaublich bewegender Moment. Nach einem Jahr intensiver Arbeit zu sehen: Die Leute sind tatsächlich hier, fühlen sich wohl und nutzen den Raum auf ihre ganz eigene Weise. Das ist etwas, worauf ich keinen direkten Einfluss mehr habe.


Clärchens
Auguststraße 24/25, Mitte, www.claerchensball.haus


Uli Hanisch
Uli Hanisch

Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Grafiker hat nach der Arbeit in Werbeagenturen in den späten 80ern angefangen, mit Christoph Schlingensief zu arbeiten. Neben seiner Tätigkeit als Szenenbildner arbeitete Hanisch auch als Requisiteur für Fernsehfilme und -serien. Seither arbeitete er mit Regisseuren wie Tom Tykwer, Jo Baier, Sönke Wortmann, Oliver Hirschbiegel und Peter Greenaway zusammen.
2016 begann er, für die deutsche TV-Period-Serie „Babylon Berlin“ zu arbeiten – produziert für Sky und ARD, unter der Regie von Tom Tykwer, Hendrik „Henk“ Handloegten und Achim von Borries.
Für das Studio Babelsberg in Potsdam entwickelte und gestaltete er die „Neue Berliner Straße“, die neue permanente Kulissenstraße. Zuletzt wurde er 2020 mit „Das Damengambit“ („The Queen’s Gambit“, Miniserie, 6 Episoden) und 2023 mit „Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes“ („The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes“) bekannt.
Er erhielt neben mehreren deutschen Filmpreisen auch einen Europäischen Filmpreis und einen Emmy.