Fotos: Selina Schrader Aufmacher Carlos Steidl
Carlos Steidl

„Es geht um das Vertrauen“

Zum Gespräch ging es nach Kreuzberg, in ein Loft im 5. Stock. Hier wird der technologische Fortschritt im E-Handel angeschoben. Knuspr gehört zur tschechischen Rohlik-Gruppe, einem europäischen Technologieführer im Bereich E-Food. Seit April 2024 ist Knuspr in Berlin am Start. Dem Interview mit Carlos Steidl, dem Chefeinkäufer für Obst und Gemüse, ist ein Testlauf vorausgegangen: Eva-Maria Hilker ist seit ein paar Wochen Kundin des Lebensmittel-Lieferdienstes Knuspr

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Meine persönlichen Erfahrungen sind durchweg positiv bis auf ein paar Kleinigkeiten. Die Auswahl ist außerordentlich und überzeugend. Die Rubrik „Rette Lebensmittel“ und die 5-Euro-Retter-Tüten fallen einem ins Auge. Leider sind die Angebote sehr schnell ausverkauft.
Carlos Steidl: Es sind tatsächlich sehr viele Kunden, die gezielt auf diese Kategorie zugreifen. So werden weniger Lebensmittel abgeschrieben, denn im Müll landen sie nicht – wir spenden.

An der Qualität von Gemüse und den Milchprodukten der Eigenmarke ist nichts zu meckern. Wo kommen eure Eigenmarken her?
Wir kaufen unter anderem in Italien, aber auch in Deutschland ein. Tschechien und die Slowakei sind beispielsweise starke Milch-Regionen, und da suchen wir uns immer das Beste aus, was wir dementsprechend über alle Märkte hinweg anbieten können.

Noch eine persönliche Erfahrung: Die Bezahlung mit Karte funktionierte einmal nicht. Es gab scheinbar technische Probleme und sprachlich war die Verständigung holprig.
Zum Start gab es kleine Hindernisse, weil noch vieles neu war – auch für unsere Fahrer, die teilweise noch nicht ganz mit dem System vertraut waren. Jetzt läuft alles.

Carlos Steidl 1

Mitarbeitende sind gerade bei Lieferdiensten ein zentrales Thema. Zum einen findet man keine, zum anderen ist es riskant mit Subunternehmen zu arbeiten. Und die Diskussionen in den Medien über schlechte Bezahlung reißen nicht ab.
Wir arbeiten je nach Standort und Markt mit unterschiedlichen Modellen. In Österreich sind unsere Fahrer ausschließlich bei uns direkt angestellt und sozialversicherungspflichtig beschäftigt. An unserem Standort in Berlin sind sie beispielsweise bei einem Partnerunternehmen festangestellt. Worauf wir aber immer achten, ist, dass ihr Verdienst deutlich über dem Mindestlohn liegt. Zusätzlich profitieren alle unsere Fahrer von einem attraktiven Bonussystem. Auf ihre Zufriedenheit legen wir viel Wert, denn sie sind das „Gesicht zum Kunden“ und damit quasi unsere Visitenkarte.

Wie funktioniert das mit den regionalen Agrarbetrieben?
Wir lernen gerade viel voneinander. Durch den direkten Kontakt erfahren unsere regionalen Partner hautnah, wie ein Lieferdienst funktioniert und arbeitet, wir wiederum, was genau von uns gebraucht wird, und auch wo wir unterstützen können. Es ist ein gemeinsamer Lernprozess auf Augenhöhe – man muss sich kennenlernen und wissen, wie der andere tickt, um gemeinsam gute Produkte an die Kunden zu bringen.


„Unser Hauptaugenmerk liegt immer auf der Qualität und auf den frischesten Produkten. Wir wollen die Lieferketten so kurz wie möglich halten.“

Dann kommen wir jetzt auf eure Besonderheit zu sprechen. Ihr vermeidet Umwege über Zwischenhändler, indem ihr direkt an die Produzenten und die Hersteller geht.
Ganz genau. Unser Hauptaugenmerk liegt immer auf der Qualität und auf den frischesten Produkten. Wir wollen die Lieferketten so kurz wie möglich halten. Für die Frische bei Fleisch und Fisch versuchen wir, immer direkt mit den Produzenten zu arbeiten. Beim Transport von Obst und Gemüse gilt: Jedes Mal, wenn man eine Kiste angreift, umlagert und in den nächsten Lkw stapelt, bekommt das Obst und Gemüse durch die Erschütterung „Stress“ und verliert automatisch an Qualität. Indem wir die Zwischenstopps und Transportwege zwischen Feld und Kunde auf ein Minimum reduzieren, können wir die frischesten Produkte anbieten.

Der Kontakt ohne Umwege schlägt sich doch sicher auch bei der Preisgestaltung nieder?
Nicht nur, aber natürlich erzielen wir auch gute Preise. Aber Produzent und Lieferant stehen im Vordergrund. Wenn du dir unser Sortiment anschaust, dann liest du immer die Geschichte über das Produkt, was es ist und wer es produziert hat. Das ist uns sehr wichtig, wir drängen uns mit unseren Eigenmarken nicht auf, das Herzstück unseres Sortiments sind die frischen Lebensmittel unserer regionalen Partner.

Die Kundschaft, die online bestellt, hat ein anderes Informationsbedürfnis als diejenige, die im Supermarkt, also vor Ort einkaufen geht. Da siehst du, da riechst du, fühlst du, was du in den Warenkorb packst.
Es geht zunächst einmal um das Vertrauen, das wir als Online-Supermarkt gewinnen müssen. Das bedeutet auch, dass die Kundschaft genau wissen will, woher diese Petersilie kommt, woher die Erdbeeren. Woher kommt dieses oder jenes Stück Fleisch? Ist es aus bester Tierhaltung oder nicht?


„Der Hauptunterschied liegt in unserem Sortiment und unserem Service. Wir vereinen das Angebot eines Supermarkts mit der Frische des regionalen Hofladens.“

Erkläre doch bitte kurz den Unterschied zu anderen Lieferdiensten wie zum Beispiel Flaschenpost.
Der Hauptunterschied liegt in unserem Sortiment und unserem Service. Wir vereinen das Angebot eines Supermarkts mit der Frische des regionalen Hofladens und haben über 15.000 Produkte und über 4.000 Apothekenartikel im Sortiment – alles drei Stunden nach Bestellung geliefert. Auch unser unerbittlicher Fokus auf die Bedürfnisse unserer Kunden macht uns besonders: Unser Anspruch ist es, in jedem Schritt zwischen Bestellung und Auslieferung kompromisslos gut zu sein. Und wenn mal etwas schief gehen sollte, gibt es das Geld zurück – ohne Wenn und Aber.

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Wie funktioniert die Lieferung überhaupt?
Wir liefern innerhalb von drei Stunden nach Bestellung. Ein effektiver und geringer Energieverbrauch ist auch Teil von unserem Modell. Wir fahren mit einem Auto im Schnitt zu 14 Kunden, statt 14 Kunden zum Supermarkt. Das ist umweltfreundlicher, als wenn jeder einzeln mit dem Pkw zum Supermarkt fährt – und darüber hinaus noch zum Bäcker, Metzger, zur Drogerie, Apotheke usw.

Das ist dann auch der Vorteil eines einzigen Lagers?
Absolut, und da wären wir dann auch wieder bei der Qualität. In unserem Lager lassen sich die Kühlketten einhalten, mit den richtigen Lagertemperaturen und Lagermöglichkeiten. So können wir an nur einem Ort die Qualitäts­kriterien überwachen. Ich will mir nicht anmaßen, andere Businessmodelle zu kritisieren, aber ich glaube, verschiedene Lager-Standorte bringen Schwierigkeiten mit sich. Mehrere kleinere Standorte bedeuten viele Fahrer. Man hat hohe Fixkosten, die man dann decken muss. Und dann meist kleine Warenkörbe auszuliefern – oft ohne eine ideale Routen-Bündelung. Das kann auf die Dauer nicht rentabel sein. Wir greifen auch auf entsprechende Erfahrungen zurück, die wir zuletzt in München, vorher in Frankfurt, Wien und in unserer Mutterfirma in Prag gemacht haben. Die ist vor acht Jahren gegründet worden. Dann kurz danach ist in Budapest ein Standort eröffnet worden. Und jetzt ist Berlin dazu gekommen.

Diese Anzahl von Standorten bedeutet auch entsprechende Marktmacht.
Umso mehr Standorte, umso mehr Auftragsvolumen. Das hilft sehr wohl, und wir werden ernst genommen. München ist momentan der profitabelste Standort in Deutschland. Wir wicklen dort bis zu 5.000 Bestellungen an einem Tag ab. In Berlin holen wir gerade schnell auf. Wir sind bei bis zu 3.000 Bestellungen.

Am Tag?
Ja. Prag zum Beispiel bewerkstelligt 20.000 Bestellungen am Tag.


„Kleinere Manufaktur stehen bei uns im Vordergrund. Wir präsentieren und verkaufen ihre Waren. Das bedeutet nicht, dass sie nur für uns produzieren.“

Besteht bei dieser Entwicklung nicht die Gefahr, dass die Innenstädte verwahrlosen? Keine und keiner muss mehr seinen täglichen Bedarf im benachbarten Einzelhandel oder im Supermarkt decken. Dann geht das weiter mit dem Sterben von Metzgern, Bäckern, kleinen Manufakturen …
Im Gegenteil. Wir fördern sie ja gerade. Kleinere Manufaktur stehen bei uns im Vordergrund. Wir präsentieren und verkaufen ihre Waren. Das bedeutet nicht, dass sie nur für uns produzieren. Die Kundschaft kann weiterhin dort einkaufen. Aber die Kundschaft kommt eventuell nicht jede Woche dorthin, man wohnt vielleicht in einem anderen Stadtteil. Wir versuchen mit Manufakturen und mit kleineren Agrarbetrieben das Business nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern eben auch ihre Besonderheiten zu präsentieren.

Es bieten ja auch einige Discounter und der stationäre Handel einen Lieferservice an. Warum weniger erfolgreich als Knuspr?
Das ist immer die Schwierigkeit, denn die Logistik und die Liefer-Infrastruktur, die hinter dem Online-Geschäft steckt, ist für den stationären Handel Neuland. Versucht man einen Lieferdienst zu etablieren, dann muss man komplett umdenken. Dieses Geschäft muss man komplett abkoppeln, denn es sind völlig andere Abläufe. Und auch wenn man das hinkriegt: Der große Unterschied zwischen Knuspr und allen anderen sind diese 50 Prozent im oberen Bereich unseres Angebots. Das ist unserere Zusammenarbeit mit kleinen Manufakturen, die direkte Vermarktung der Waren von kleineren Höfen in der Region, mit dem Spezialitätenladen um die Ecke. Aber auch von weiter weg wie z.B. von Marks & Spencer aus Großbritannien. Da sind wir die einzigen in Deutschland, die das anbieten. Oder auch besondere, sonnengereifte Tomaten aus Italien.

Laut einer Umfrage sind Consumer nicht so einfach von der Online-Bestellung von Fisch und Fleisch zu überzeugen. Mich persönlich hat die Qualität und der Preis von Bio-Pute positiv überrascht.
Da sind wir wieder beim Thema Vertrauen. Man ist es gewohnt, den Fisch oder das Fleisch zu sehen, bevor man es einkauft. Deswegen nehmen wir die Auswahl unserer Lieferanten so ernst. Und ebenso genau und detailliert ist das Storytelling, die Produktbeschreibung im Onlineshop. Wenn wir es da schaffen, den Kunden zu überzeugen, dass er bei uns einkaufen kann, ohne ein schlechtes Erlebnis zu haben, oder es vielleicht sogar besser ist, dann haben wir eine treue Kundin, einen treuen Kunden gewonnen.

Knuspr-Sortiment

Die anderen Consumer sind die, die nach plant-based Food nachfragen. Wie siehst du die Zukunft? Wird der Konsum wachsen?
Es wird sicher mehr und mehr werden. Zur Zeit sehen wir eine Marktsättigung. Die dreißigste Wurst-Imitation ist dann auch nicht mehr der Renner. Wir sehen aber auch einen leichten Trend, dass neben den Imitationen oder Nachahmungen verschiedene, komplett andere Gerichte mit Blick auf Proteine auf den Markt kommen.


„Wir haben noch eine sehr lange Liste mit Produzenten, die wir noch zusätzlich aufnehmen wollen. Es ist noch genug Luft nach oben.“

Weitet ihr euer Sortiment in Berlin aus?
Im Laufe des ersten Monats nach unserem Start haben wir bereits 1.000 Produkte zu unserem Sortiment hinzugefügt – alles auf Kundenwunsch. Wir haben noch eine sehr lange Liste mit Produzenten, die wir noch zusätzlich aufnehmen wollen. Es ist noch genug Luft nach oben.

Wie sieht es in Brandenburg aus?
Wir haben viele Partner aus Brandenburg gewinnen können – vor allem kleine Bio-Höfe und Demeter-Betriebe. Darunter zum Beispiel der Bioland-Hof Zielke in Vierlinden und die Bio-Gärtnerei Watzkendorf in Blankensee. Der Fokus auf Bio und Demeter in Brandenburg hat historische Gründe: Vor der Wende hatte die regionale Landwirtschaft starke Beziehungen zu Polen und Russland. Nach der Wende wurden diese Beziehungen von einem Tag auf den anderen unterbrochen. Dann kamen die großen Konzerne aus dem Westen und haben ihre Lieferanten mitgenommen. Deswegen haben sich unsere landwirtschaftlichen Partnerbetriebe neu orientiert und ihre neue Existenz als Bio- oder Demeter-Betriebe aufgebaut.

Das Regionalkonzept hat auch seine Grenzen – jahreszeitlich betrachtet.
Das stimmt. Außerhalb der Saison importieren wir zum Beispiel auch Tomaten aus Spanien oder Italien. Sobald jedoch die Saison in der Region anfängt, wird sofort regional eingekauft.


„Wir können sehr genaue Prognosen für die benötigte Menge der Lebensmittel generieren und haben somit nur das verfügbar, was voraussichtlich bestellt wird.“

Wie reguliert ihr das denn mit der Lebensmittelverschwendung?
Es beginnt bei uns schon beim Bestellsystem. Eigentlich könnte man uns als IT-Firma bezeichnen, die Lebensmittel verkauft. Wir programmieren alles selbst, so ist unsere Homepage der Spiegel unseres Warenwirtschaftsprogramms. Wir können sehr genaue Prognosen für die benötigte Menge der Lebensmittel generieren und haben somit nur das verfügbar, was voraussichtlich bestellt wird. So haben wir letztlich einen Schwund von unter einem Prozent.

Das heißt, es wird das Käuferverhalten ermittelt und z.B. Hauptverkaufstage?
Richtig. Unsere Hauptverkaufstage sind Freitag, Samstag und Montag. Dienstag bis Donnerstag geht es ein bisschen runter. Dann kommt das Marketing ins Spiel.

Mit den Newslettern zum Beispiel.
Das sind nicht nur die Newsletter. Wir bespielen unterschiedliche Plattformen, angefangen mit Facebook, Instagram und den anderen Medien. Da gibt es Google Ads oder Facebook Ads. Man kann sehr gut damit spielen.

Und das bringt etwas?
Ja. Wenn wir sehen, dass für den nächsten Tag noch nicht so viel bestellt wurde, dann spielen wir auf gewissen Kanälen Werbung aus. Das animiert dann sehr wohl die Käuferschaft. Es klingt einfacher als es ist. Ich bin froh, dass ich nicht beim Marketing bin, sondern in erster Linie mit meinen Partnern aus der Landwirtschaft zu tun habe, was für mich einfach greifbarer ist.

Carlos Steidl 1

Du bist derjenige, der für das Sortiment Obst und Gemüse zuständig ist.
Und für die Vision und Philosophie für unser Biogemüse-Sortiment und natürlich dann auch der erste Ansprechpartner für die verschiedenen Landwirte oder wenigen Großhändler, mit denen wir zusammenarbeiten.

Dann bist du ständig in Deutschland unterwegs?
Ich komme aus Wien und bin da für das österreichische Pendant Gurkerl tätig. Seit zwei Jahren habe ich dann mit Knuspr quasi auch noch Deutschland unter meine Fittiche genommen und betreue insgesamt alle Standorte. Und an jedem Standort habe ich noch Mitarbeitende, die sich um das Tagesgeschäft und das operative Geschäft für die regionalen Betriebe kümmern.

Ihr seid ständig in Kontakt?
Ja, wir haben tagsüber mehrere Meetings. Ich komme auch jede Woche an einen anderen Standort, und dann besuchen wir unsere Partnerbetriebe. Wir entwickeln gemeinsam auch Ernte-Pläne und neue Ideen. Meine Standardfrage an unsere Partner ist: Was wolltest du immer schon anbauen, welches Experiment wolltest du versuchen und hast keinen Absatzkanal gefunden? Mit uns kommen dann interessante Sachen raus, zum Beispiel die weiße Aubergine oder lila Süßkartoffeln. Teilweise kommen alte Sorten wieder in den Handel, die aus Ertragsgründen nicht mehr angebaut wurden.

Knuspr-Logo

Abschließend die Frage, wie kommt ihr zu dem Namen Knuspr?
Die Mutterfirma heißt Rohlik, auf Tschechisch heißt das Hörnchen, deswegen auch das Logo. In Ungarn heißen wir Kifli (ebenfalls „Hörnchen“), in Österreich Gurkerl. Dann hatten wir aber das Problem, wie nennen wir das in Deutschland? Hörnchen? Das klingt so sehr nach Bäcker. Im Süden Brezel und im Norden Brötchen? Also kam es zu Knuspr.

Knuspr
www.knuspr.de