Wander- und Sammlerleidenschaft
In jedem Gericht steckt eine kleine florale Besonderheit. In einem der wohl kleinsten Restaurants Berlins, im Aerde, verfeinert Igor Kazakov
Er ist herrlich direkt und offen. Mit dem Lernen hätte er es nicht so gehabt. Und Backen wäre eigentlich schon ganz früh seine Leidenschaft gewesen. Und kleine Dinge basteln, „so fitzelige Dinge“. Deshalb riet ihm ein Onkel auch Zahntechniker zu werden. Doch der Opa war Koch, und Igors Mutter war der Meinung, dass es ein cooler Job ist, was der Opa gemacht hat. Deshalb fing Igor Kazakov mit 16 Jahren seine Lehre als Koch an. Zuerst in einem Hotel. Das war nichts für ihn, da wurde er ausschließlich beim Frühstück eingesetzt. Igor fand in Freiburg eine bessere Alternative.
Nach dem Abschluss als Koch ging es etwas turbulent zu. Zum einen machte Covid einen Knick in die Karriere. Er fing im Cordo an und ging nach ein paar Wochen wieder zurück zu seinen Lehrbetrieb in Freiburg. Man hätte viel Zeit gehabt und eben auch Langeweile. Damals hat es angefangen, mit dem In-den-Wald-gehen und Alles-mögliche-sammeln.
Igor fing an zu fermentieren: Gemüse wie Blumenkohl oder Tomaten mit Hilfe der Lacto-Fermentation, also eine milchsaure Gärung, die für Profis eine einfache Methode ist.
Über den Umweg über die Schweiz, bzw. Nicht-Schweiz kam er wieder nach Berlin. Aufgrund seiner beiden Staatsangehörigkeiten, der deutschen und ukrainischen, konnte er seine Arbeitsstelle dort nicht antreten. Gepackt hatte er bereits alles für den Umzug. Igor fand jedoch in Berlin eine bessere Alternative. Er landete wieder im Cordo und lernte Justus kennen, der dort ein zweites Praktikum absolvierte, ein anderes absolvierte er im Rutz. Justus Will war mal Berater für Fußballer, und durch familiäre Umstände wollte er in die Gastronomie einsteigen, aber vorher seine Idee von einem Restaurant überprüfen, „mit besonderem Fokus auf die Aromen unserer heimischen Wälder und Felder.“ So wurden im brandenburgischen Wendisch-Rietz, in einer Testküche, neue Kreationen erprobt. Nach einiger Zeit rief dann Justus bei Igor an, sie trafen sich und arbeiten seit rund einem Jahr zusammen.
Und die Leidenschaft fürs Wandern und Sammeln ist nach dieser Zeit offensichtlich. In den Regalen im Restaurant stehen die Einmachgläser aneinander gereiht. „Wir wissen jetzt nicht, was wir damit mal machen wollen. Wir probieren einfach aus. Wir wissen jedoch, was in nächster Zeit an Gemüse ansteht, dann testen wir, was dazu passt – und versuchen das nicht zu verkopft anzugehen.“
Bei jedem Gericht findet sich also eine spezielle Zutat, die ihm noch einmal eine besondere Note verpasst. Bei einem Sechs-Gänge-Menü – das man sich teilen kann – vergisst man leider doch einige Namen der einzelnen Komponenten. Was schade ist. Doch der Genuss steht an erster Stelle, und die Wünsche der Gäste ebenso, wie Justus Will erklärt.
Nun ist regional und saisonal nicht das Originellste und Neueste in Berlin. Doch ist es die Selbstverständlichkeit, diese unaufgeregte Attitüde, die den Gästen Spaß macht und auch die Neugierde weckt.
Dieses Selbstverständnis setzt sich in der Inneneinrichtung fort. Klare Linien, die Wände sind in rötlicher Tonfarbe gehalten, Tische und Stühle aus Holz. Genauso selbstbewusst bewegt sich auch der Service um Restaurantleiterin Hillevi Hövelmann. Zum Empfang gibt es einen Tee und danach geht es vielleicht mit Bubbles weiter.
Aerde
Am Lokdepot 6, Schöneberg,