„Mit der Gestaltung Geschichten erzählen“
Bekannt wurde die Architektin Janis Nachtigall vor rund vier Jahren. Sie gehörte zum Team des Designers Werner Aisslinger und hat das 25hours-Hotel mitgestaltet. Heute ist ihr Innendesign und ihre Handschrift in verschiedenen Restaurants und Cafés zu finden
Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader
Wir sitzen im 19grams am Alex. Kennengelernt haben wir uns im Gazzo Pizza. Du bist als Innenarchitektin in der Gastronomieszene kein unbeschriebenes Blatt. Was steckt hinter deiner Karriere?
Janis Nachtigall: Ich bin Berlinerin und habe auch hier an der TU (Technische Universität) Architektur studiert. Nach meinem Studium habe ich mich beim Team Aisslinger beworben. Ich wurde genommen und relativ schnell ins kalte Wasser geworfen als projektleitende Architektin für das 25hours-Hotel Bikini Berlin. Das war einerseits eine großartige, tolle Chance, aber für mich als Studienabgängerin erstmal völlig überwältigend. Ich habe mich dann aber schnell in meine Aufgabe eingefunden und bin über die Erfahrungen aus der Zeit mehr als dankbar.
Und dein Studium an der TU war Innenarchitektur?
Nein. Ich bin studierte Architektin und erst später zur Innenarchitektur gekommen. Als ich beim Studio Aisslinger war und wie bereits erwähnt, das 25hours-Projekt übernommen habe, ging es dabei um die Umsetzung von der ersten Idee bis zur letzten Detaillierung – also darum, alle Phasen mitzugestalten. Diese intensive Zeit sehe ich als persönliche Ausbildung zum Interieur Design. Ich habe mich in dieser Zeit von der klassischen Architektur entfernt, da hier alles viel bunter, schneller und gefühlt noch viel kreativer war. Dann habe ich mich selbstständig gemacht. Das 25hours war in aller Munde, bekam ziemlich viel Presse und so ist auch mein Name öfter gefallen und es kamen relativ viele Anfragen. Ich habe es einfach versucht und seitdem läuft es sehr gut, es kommt glücklicherweise ein Projekt nach dem anderen herein.
Hast du vor Gazzo Pizza schon etwas anderes gemacht?
Ja, klar! Ich plane und gestalte nicht nur für die Gastronomie. Ich mache auch Büro- und Hotelkonzepte und bin für private Bauherren tätig. Mein erstes gastronomisches Projekt war ein Deli, das Corsini in Wannsee. Danach kam das 19grams in der Chausseestraße, dann das Maison Han in Neukölln und die 19grams-Rösterei in Mitte, in der wir uns auch gerade befinden. Dieses Projekt hat sehr lange Zeit in Anspruch genommen – zweieinhalb Jahre habe ich daran gearbeitet. Es umfasst mit beiden Geschossen ca. 450 qm und wir haben teilweise große Baumaßnahmen wie Durchbrüche in Betondecken, den Einbau neuer Fenster, die gesamte Lüftungsanlage etc. mit eingebaut.
Es sieht alles so einfach aus. Als ob alles schon so war und nur ein paar Regale, ein paar Glaswände und eine Bar eingebaut wurden.
Es steckt tatsächlich unglaublich viel Arbeit hinter jedem einzelnen Projekt, besonders wenn man sehr detailverliebt ist. Ich nehme es allerdings als Kompliment, wenn es einfach aussieht. Das bedeutet für mich, dass wir es geschafft haben, einen Ort zu kreieren, der harmonisch wirkt und wenige Fragen offen lässt. Das ist doch ein schönes Ergebnis.
Wie eng ist die Zusammenarbeit mit den Gastronomen?
In der Regel binde ich die Bauherren eng mit ein. Ich möchte, dass sie sich am Ende in ihrem Objekt am wohlsten fühlen. Ich greife auf die Erfahrung bei der Arbeit im 25hours zurück. Wir konnten uns austoben – aber das Hotel, der alltägliche Arbeitsablauf, muss funktionieren. Da sollte die noch so witzige und spannende Idee eng mit den Hoteliers und den Angestellten besprochen und zum Teil auch im Prozess verändert werden. Im 19grams war es die Bar zum Beispiel. Ich hatte sie erst an einem anderen Ort geplant und dann kam eine der Baristas und meinte, dass sie die Position nicht optimal findet. Dann stand der Tresen probeweise überall schon mal und am Ende ist es nun diese Position geworden, da haben wir bis zum letzten Zentimeter gefeilt. Jetzt sind wir alle happy damit.
Das 19grams ist nicht nur Café, es gibt den Meetingraum …
... dann gibt es die Rösterei, das Herzstück, den Cuppingraum, den La-Marzocco-Showroom sowie die Büros. Das wollten wir alles sichtbar und erlebbar machen. Daher haben wir uns gegen klassische Trockenbauwände, aber für den Einbau filigraner Stahl-Glas-Trennwände entschieden. Alternativen Sichtschutz bieten die Holz-Jalousien oder hier und da ein paar halb-offene Regale.
Stilistisch, würde ich sagen, ist es eine typische Mixtur aus klassischem Design und industrial chic.
Ja genau. Meine Auftraggeber waren in diesem Fall zwei Männer. Eigentlich mag ich persönlich eher runde, elegante Formen. Das passt in dem Fall vielleicht nicht unbedingt zur klassischen Rösterei. Wir haben eine tolle Mischung gefunden, die den Manufaktur-Charakter, das Handwerk, die echten und rohen Materialien, wie sie ja auch bei der Herstellung und Verwertung von Kaffee vorkommen, widerspiegeln.
Es ist also ein Balance-Akt?
Auf jeden Fall möchte ich, dass der Kunde glücklich ist, mit meiner Arbeit und dem Ergebnis. Man muss sich bei einigen Ideen allerdings durchzusetzen wissen und für seine Vision kämpfen. Das mache ich wenn nötig mit vollem Einsatz.
Beim Innendesign von Gazzo Pizza ist ein spielerischer Kontrast zwischen Alt und Neu zu erkennen ...
Das war das Besondere, dass der Bestand schon sehr viel hergegeben hat. Wir haben uns entschieden, ganz viel Altes zu lassen und das mit Neuem zu kombinieren. Ein Teil der Wände wurden zum Beispiel glatt gespachtelt. Alles unverputzt zu lassen, hätte ziemlich überladen und marode gewirkt. Wenn wir alles gespachtelt hätten, wäre es zu neu geworden. Die Spannung zwischen Alt und Neu – die versuche ich immer zu finden. Im Gazzo Pizza stehen auf dem alten und abgenutzten Betonboden neue Möbel. Dieser Kontrast muss sein, sonst fehlt da sozusagen die Seele. Der Gastgeber und Mann an der Front, Robert Szabo, hat bei der Gestaltung auch intensiv mitgewirkt. Dadurch ist das Interior in dem Fall ein Tick verrückter, als ich das mit meinem Stil sonst repräsentiere. Mikael Andersen, der Chef und Mann am Ofen und hat uns beiden vertraut und uns viel Freiraum gelassen.
Wie dankbar bist du denn so jemandem wie Robert, der ja hier auch viel Kunst reingebracht hat?
Einerseits ist es toll mit engagierten Leuten zu arbeiten, die sich aktiv einbringen möchten. Kreativer Austausch ist mir sehr wichtig. Andererseits habe ich das Gesamtkonzept im Kopf und versuche das natürlich weitestgehend geradlinig umzusetzen. Ich musste erstmal kurz schlucken, wie viele und was für Sachen, also verrückte Kunst, er mitgebracht hat. Bei meinem Gesichtsausdruck musste er dann lachen. Wir haben gemeinsam versucht, das Restaurant nicht zu überladen. Ich habe aber auch ein Stück losgelassen und am Ende am Ende ist es gut geworden. Ich glaube allerdings, dass da immer mehr Kunst dazugekommen ist. Ich muss mal wieder nachsehen gehen. Nicht, dass er seine gesamte Kunst, die er liebt, unterbringen will. (lacht)
Hast du auch Einfluss auf das Licht?
Definitiv, ich inszeniere das Licht mit. Ich bin tendenziell immer für weniger Licht, ich mag es atmosphärisch, gemütlich. Wenn ich den Elektriker treffe, ist die erste Ansage, alle Leuchten dimmbar zu installieren. Mikael Andersen von Gazzo Pizza wollte jedoch, dass die Gäste für Instagram viele Bilder von den Pizzen machen – und das funktioniert natürlich nicht bei Kerzenlicht und wollte helles Fotolicht. Dann haben wir also Strahler an der Decke eingesetzt. Jedes Mal, wenn ich da bin, sage ich: Jungs, ihr müsst das Licht runterdimmen! Doch irgendwann hört mein Einfluss natürlich auch auf. Irgendwann bin ich nicht mehr jeden Tag da und dann vergessen sie mich. Bei manchen Sachen wollen sie mich auch vergessen. (lacht)
Was ist das Spezielle an deiner Handschrift?
Orte und Gegebenheiten, die ich vorfinde, legen mir auch bestimmte Ideen vor. Ich habe vor allem im Studio Aisslinger gelernt, dass man mit dem Interior-Design Geschichten erzählen soll. Ich versuche die Geschichte des Ortes mit aufzunehmen und nichts überzustülpen; authentische Atmosphären zu schaffen, in denen sich die Gäste auf natürliche Weise wohlfühlen. Ich mag warme Farben und Materialien, die Gemütlichkeit und Natürlichkeit ausstrahlen. Ich arbeite viel mit Holz und kombiniere es mit anderen Materialien. Der Kontrast zwischen Alt und Neu ist mir sehr wichtig. Ich liebe es Vintage-Objekte einzusetzen und mag es prinzipiell elegant, detailliert aber auch etwas verspielt. Es muss bei mir eigentlich gar nicht rau sein, es war bis jetzt nur immer so, dass ich etwas Raues vorgefunden habe und da versucht habe, es einerseits zu integrieren und auch ein bisschen dagegenzuwirken.
Was sind für dich innenarchitektonische No-Gos in der Gastronomie?
RGB-Beleuchtung, Plastik, Holzfurnier, Plüsch oder auch Kunstpflanzen sind meine persönlichen No-Gos. Und ich mag es nicht, wenn alles zu sehr von der Stange aussieht. Individualismus und Natürlichkeit sind extrem wichtig.
Janis Nachtigall
19grams
Chausseestraße 36, Mitte, und Karl-Liebknecht-Straße 13, Mitte,
Gazzo Pizza
Hobrechtstraße 57, Neukölln,