Fotos: Marvin Pelny Georg Mauer Aufmacher
Georg Mauer

„Alles hat hier seinen Platz, alles!“

Er hat Berlin das Weintrinken beigebracht. Georg Mauer sorgte 40 Jahre lang für Genuss und Qualität. Seit den 70er Jahren ist er einer der wichtigsten Persönlichkeiten innerhalb der Weinszene. Jetzt hat er beschlossen, wie es Neudeutsch heißt, sich aus dem operativen Geschäft zu verabschieden

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Marvin Pelny

Ende letzten Jahres hast du dich entschieden bei Wein & Glas als Geschäftsführer aufzuhören. Warum gerade jetzt?
Georg Mauer: Man sollte eine solche schwerwiegende Entscheidung treffen, solange man das noch selbst entscheiden kann, auch in der Reflexion seiner eigenen Möglichkeiten. Und ich habe gemerkt, dass mich bestimmte Dinge nicht mehr interessiert haben, dass ich zu festgelegt war in manchen Ansichten und dass ich für Sommeliers, die 30 Jahre alt oder noch jünger sind, nicht mehr der richtige Ansprechpartner war ... Sie achten mich, sie kennen mich alle, aber manche Dinge, die ich vertreten habe, interessierten die Jungen nicht mehr so.

Was ist deutlich anders geworden in der Berliner Gastro-Szenerie?
Wenn ich daran denke, dass vor rund 40 Jahren „weiß-rot-rosé“ für 1 Mark 95 der Liter angeboten wurde ... Geändert hat sich die Einstellung zur Qualität, gastronomische Unternehmen müssen heute professionell arbeiten, um Erfolg zu haben. Insgesamt hat sich die Organisation verändert. Der Inhaber leitet heute das Unternehmen und steht nicht jeden Abend hinterm Tresen. Genauso, wie ich nicht jeden Tag hinter der Ladentheke stehe oder stand.

Ist denn jetzt entgültig Schluss oder gehst du noch einmal die Woche ins Büro?
Nein, es ist vollkommen klar, dass ich aus dem operativen Geschäft ausscheide. Alle haben alle Freiheiten, das zu tun, was sie für richtig halten. Ich habe noch einen Minderheitsanteil an der Firma, aber ich habe nichts mehr zu sagen und das ist auch ganz bewusst so. Die Zeichen stehen allerdings auf Kontinuität. Ich erwarte keine großen Veränderungen, das haben wir auch so besprochen. Die Änderungen kommen sowieso mit der Veränderung des Marktes. Ich vertraue auf meinen jahrzehntelangen Geschäftspartner und Mitgesellschafter Wolf Steppat, der kennt das Geschäft aus dem effeff, genau wie ich. Auch die Mitarbeiter sind ja schon jahrzehntelang da. Beim letzten Weihnachtsessen mit 18 Leuten saßen 350 gemeinsame Arbeitsjahre am Tisch. Das muss man sich mal vorstellen, das ist schon viel.

Das spricht für euer Unternehmen und eure Umgangsformen …
Wir haben uns immer darum bemüht qualifizierte Menschen, mit denen wir uns auch intuitiv gut vertragen haben, zu halten. Denn es sind alle älter geworden, aber wir haben nie die Überlegung gehabt, jemanden, der nicht mehr ganz frisch ist, durch einen Jüngeren zu ersetzen. Wir wollen und haben stabile personelle Verhältnisse.

Georg Mauer 2

Trotzdem arbeiten bei euch auch jüngere Leute. Findet langsam doch ein Generationswechsel statt?
Wenn Stellen frei werden, dann nehmen wir auch junge, gut ausgebildete Leute. (lacht) Das ist vollkommen klar. Insofern ist ja auch die Struktur unseres Unternehmens so, dass wir die Altersspanne von 30 bis 75 Jahren abdecken.

Hast du einen Unterschied festgestellt zwischen der jüngeren und älteren Generation wenn es um das Thema Wein geht?
Zunächst ist es ja quasi so, dass wir Älteren den Markt für Qualität erst einmal bereitet haben. Und damals war der Wein deutlich weniger mystifiziert als heute. Es war ein genussvolles Alltagsgetränk, wenn man es sich leisten konnte.

Wie wird der Wein heute mystifiziert?
Naja, es gibt Sommeliers oder auch Weinhändler, die machen um Weine eine Story, die eigentlich ein normaler Mensch gar nicht braucht, wenn ihm der Wein schmeckt. Das ist so ein Drumherum-Paket, die Botschaft muss schön eingepackt sein. Das war früher ganz anders. Wir haben einfach gerne was getrunken und die Weine haben geschmeckt. Die Weine waren bezahlbar, auch bezahlbarer als heute möchte ich sagen, und das hat uns gereicht. Und es hat auch dem Markt gereicht, das ist heute schon anders. Die Story ist viel wichtiger.

Und was hast du dir jetzt vorgenommen? Ich kann gar nicht glauben, dass du jetzt mit Wein nichts mehr zu tun hast.
Ich habe keinen Plan. Also, ich sage jetzt natürlich die Wahrheit, das ist auch klar. (lacht) Was ich machen möchte: Ich möchte mich ein bisschen mehr um meine Weinberge kümmern.

Du hast eigene Weinberge? Von der Familie?
Ja, vier Hektar Riesling im Rheingau. Da werde ich mich ein bisschen mehr drum kümmern. Und vielleicht baue ich noch ein kleines Weinbergshaus, mit schönem Blick, wo ich dann für den Winzer, der für mich arbeitet, eine Wohnung einbaue und für mich auch.

Also eigentlich zurück zu den Wurzeln.
Auf jeden Fall auch. Ich bin ja immer mindestens soviel Winzer wie Händler – eigentlich mehr Winzer als Händler – gewesen. Der Rheingau ist eine wunderschöne Region, da bin ich sehr gern, und ich werde auf jeden Fall einen Teil des Jahres da sein.

Jetzt noch mal perspektivisch: Berlin als Weinstadt – wie schätzt du das ein?
Es gibt verschiedene Aspekte. Der eine Aspekt ist, dass der Weinkonsum schon eine sehr hohe Entwicklung genommen hat, also einen sehr hohen Standard erreicht hat. Und die Umsatzmittler, die Restaurateure und Sommeliers, haben schon ein profundes Wissen zu dem Thema. Man kann, was arrivierte Weine angeht, sehr viel erreichen. Allerdings ist Berlin auch immer eine Spielwiese für alle möglichen neuen Ideen: also orange, naturel und was man alles so hat. Die Bewegungen, die zum Teil auch aus dem Umland und der Region kommen, das finde ich wunderbar, das erdet. Die Erdung ist wichtig für den Wein. Wein ist ja nichts anderes als vergorenes Obst, wenn du das so willst. Auch wenn es hochqualifiziert und kompliziert zu machen ist, so ist es doch ein landwirtschaftliches Produkt.

Was heißt das konkret?
Wein ist für mich ein ausdrucksvolles Genussmittel mit vielen Facetten. Soweit ich diese Facetten noch nicht kenne, möchte ich sie gern erfahren. Es war ja lange üblich, dass der Service in der Top-Gastronomie dem Gast mehr belehrend als helfend zur Seite stand – das hat sich gottlob geändert – aber für mich war es immer wichtig, dass ich mir in Ruhe mein eigenes Urteil bilden konnte. Bevormundungen und Mystifizierungen sind doch Gegner des klaren Verstandes. Ich vertraue gern auf die Regionalität, auf die Herkunft und die Ursprünglichkeit, aber immer auch auf mich selbst.

Georg Mauer 1

Du hast ja auch die Erfahrung ...
Ja, aber die Entwicklung Berlins ist toll. Alles hat hier seinen Platz, alles! Die Dynamik der gastronomischen Entwicklung ist enorm, man kann hier alles ausprobieren und es gibt viele junge Menschen, die sich mit ihren Ideen eine Existenz aufbauen, davor habe ich großen Respekt.

Der deutsche Wein hat an Ansehen gewonnen und hat auch preislich ordentlich zugelegt. Wird das so weitergehen?
Zunächst finde ich es wichtig, dass ein Winzer der gut arbeitet, von seiner Arbeit leben kann. Wenn du im Supermarkt für 1,99 Euro eine Flasche Wein kaufst, da kann kein Winzer davon leben. Das ist nichts anderes als Rohware Traube, auf billigste industrielle Weise verarbeitet, abgefüllt, so dass es ein bisschen nach Säure, ein bisschen nach Alkohol und nach Süße schmeckt und das wars dann schon. Das ist das eine.
Das andere ist natürlich, dass der Weinmarkt immer noch wächst. Und wo Wachstum herrscht, da wächst auch Begierde. Ich bin da nicht mit allem einverstanden, was passiert. Man muss nicht das ganze Weingut als Großes Gewächs verkaufen. Man braucht auch Weine für Menschen, die jeden Tag eine Flasche Wein trinken wollen und die dann letztendlich, wenn es ein guter Wein aus einer guten Herkunft ist, auch zehn Euro ausgeben. Aber es müssen jetzt nicht unbedingt 35 Euro pro Tag sein. Da sehe ich ein gewisses Problem. Ich hoffe, dass die Weingüter das auch insofern verstehen, dass sie ihre Produktion so ordnen, dass sowohl der Alltagstrinker oder Alltagsgenussmensch als auch der Nobeltrinker, dass alle zu ihrem Recht kommen. Dann haben auch alle ihr Auskommen. Das ist immer eine Balance.

Berlin war ja auch ein besonderes Pflaster mit viel Neugier und Aufregung bei Mauerfall. Hattest du auch das Gefühl, dass ihr als Weinhändler nochmal neu gefordert wurdet?
Absolut. Als Schabowski an dem Abend gesagt hat, die Reisefreiheit gilt unverzüglich, da habe ich gerade Fußball geguckt, das Pokalspiel Stuttgart gegen Bayern, und da war mir vollkommen klar: Ab morgen müssen wir arbeiten. Wir können nicht so weiterdümpeln, ab morgen wird alles anders. Und das hat sich durch die Hauptstadtentwicklung auch so gezeigt. Berlin zeigt sich von seiner besten Seite – nach vielen Durststrecken und bei vielen administrativen Mängeln –, für die, die von draußen auf uns gucken. Wir haben irre viele Besucher, gerade auch junge Leute.

Kannst du dich noch an die Zeit vor dem Mauerfall erinnern?
Ich kann mich sehr gut erinnern. Wir hatten damals LKWs, 40-Tonner, wir mussten richtig mit dem Sattelschlepper Wein transportieren und der musste dann verplombt werden. Und manchmal waren die Zöllner auf der westlichen Seite so doof und haben die Plomben falsch gesetzt, sogenannte Zollschnüre, die den ganzen Wagen abgesichert haben. Dann fragte der Ostler: „Warum haben Sie denn hier so viele Plomben dran?“ Da sagte ich: „Na, Sie wissen doch, der Westen hat zuviel Blei.“ Da haben alle gelacht.
Oder du kamst dahin und musstest Strafe zahlen weil dein Ausweis ein bisschen geklebt war, das war ja in der DDR verboten, da musste man immer zehn Deutsche Mark Strafe bezahlen. Einmal hab ich den Grenzer deswegen ein bisschen angepöbelt und hatte nur einen 20-DM-Schein dabei. Da hat der mir zehn DM in Pfennigen zurückgebracht. So gestört war das damals alles. Heute hört sich das witzig an, aber damals ...
Als dann die Grenze aufging wussten wir nicht wie wir uns verhalten sollten, weil die Straßen verstopft waren. Es hat nichts mehr funktioniert. Das Telefon nicht, der Verkehr auf den Straßen nicht. Wir standen alle elend im Stau ’rum. Bei den Banken gab es riesige Staus, weil die Leute alle ihr Begrüßungsgeld haben wollten ...
Wir hatten unser Lager genau da, wo jetzt diese Galerie-Meile ist am Hamburger Bahnhof, das waren ja damals Schuppen von der Reichsbahn. Gehörte also dem Osten, war aber auf Westseite gelegen. Wir konnten nicht zum Lager fahren, weil die Massen zu Fuß über den Grenzübergang Invalidenstraße strömten. Da habe ich den Menschen Piccolos gegeben und sofort machten sie die Straße frei, das war also unser „Begrüßungsgeld“.

Wein & Glas Compagnie
Prinzregentenstraße 2, Wilmersdorf, Tel. 030 235 15 20, www.weinundglas.com, Mo-Fr 10-18.30 Uhr, Sa 10-16 Uhr