„Gute Lebensmittel müssen einen Wert haben“
In der Food-Szene ist sie eine bekannte Größe. Kathrin Kuna wollte eigentlich Juristin werden, dann studierte sie Literatur- und Kulturwissenschaften. Gerade ist sie aus Dänemark zurückgekommen und bleibt dem Thema Essen auch hier weiterhin treu
Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader
Du bist gerade zurückgekommen und jobbst bei der Berlinale. Du warst in Kopenhagen. Was war dort dein Aufgabengebiet?
Kathrin Kuna: Ich habe mit einer dänischen Kochbuchautorin und Köchin Trine Hahnemann ihr neues Projekt aufgebaut. Es ging darum einen Ort für Lebensmittelproduktion, Gastronomie, Lernen und Diskutieren zu schaffen. Auf 1000 Quadratmetern wurde eine Bäckerei, eine Konditorei, ein Café, eine Kochschule und ein Event Space eröffnet. Später kam noch ein Restaurant dazu. Ich war für den Aufbau des Projekts und dann die Programmierung der Kochschule und von kulinarisch-kulturellen Events verantwortlich.
Was hat dich dort am meisten beeindruckt?
Schnell gesagt: Wie gut das Image im Vergleich zur Realität ist. Vor allem in Bezug auf die beiden Mythen: Gender Equality und Bewusstsein für gutes Essen. Im Positiven wie im Negativen war ich beeindruckt, wie viel Geld zur Verfügung steht (ein Cappuccino kostet etwa 6 bis 7 Euro). Ein großer Fokus liegt auf gastronomischen Projekten in der Stadt. Der komplette Tourismus ist darum herum aufgebaut. Die Qualität des Essens muss stimmen, aber auch Architektur und Design sind sehr wichtig. Stichwort „hygge“. Mit zunehmendem Alter nervt mich, dass man in Berlin stolz ist „arm aber sexy“ zu sein. Gute Lebensmittel müssen einen Wert haben. Wenige können sich aber leisten, bei der Bio Company geschweige denn am Markt direkt beim Produzenten zu kaufen – was am nachhaltigsten und schlauesten wäre. In Kopenhagen, wo viele Leute das Geld hätten, gibt es trotzdem keinen einzigen funktionierenden Bauernmarkt. Am häufigsten findet man Netto-Discounter, wo ich auch zum ersten Mal in meinem Leben in der Öko-Linie den wöchentlichen Grundbedarf gedeckt habe.
Man hat den Eindruck, dass Dänemark das Land der Foodies und fortschrittlichen Food-Kultur ist. Hinken wir hier hinterher?
Ich würde zwischen einem Land und dem Marketing einer Stadt unterscheiden. Leider habe ich keine Zahlen gefunden, aber es interessiert mich sehr, wie viele Kopenhagener schon Mal im weltbekannten Restaurant Noma waren.
Das Kantinen-System und die gastronomische Versorgung an öffentlichen Stellen und in Firmen ist beeindruckend. Arbeitgeber müssen ab 30 Mitarbeitern eine Infrastruktur für Mittagessen und Mittagspause zur Verfügung stellen. Als Angestellter hat man entweder das tägliche Mittagessen im vertraglichen Paket oder kann die Kosten dafür von der Steuer absetzen. So war das übrigens auch in der französischen Firma, für die ich zuvor gearbeitet habe. Da hinkt Deutschland hinterher. Berlin fehlt eine funktionierende landwirtschaftliche Infrastruktur im Umland. 50 Autominuten von Kopenhagen, in der Region Lejre gibt es Landwirte, die seit den 80er Jahren biologisch oder biodynamisch wirtschaften. Das Thema kennen wir aber auch im innerdeutschen Vergleich. Was Kopenhagen fehlt ist Diversität. Berlin hat in diesem Punkt so viel mehr zu bieten.
In Berlin hat man den Eindruck es wird viel geredet, aber es wird wenig realisiert. Wie ist dein Eindruck nach einem Jahr Abstand?
Ich sehe persönlich viel Bewegung. Leute, über deren Träume ich vor Jahren bei einem Bier gehört habe, führen nun ein oder mehrere Lokale, sind Teil eines nachhaltigeren Lebensmittel-Systems und bauen dieses in der Stadt mit auf. Bei Visibilität und Vernetzung bzw. Unterstützung von Frauen im Business ist Berlin voraus. Der Feminist Food Club ist gerade zwei Jahre alt geworden. Ich habe in Kopenhagen einen Ableger gestartet, da es derartige Netzwerke nicht gibt; viele waren erleichtert über den Fake Feminism im gelobten Skandinavien sprechen zu können. Wir haben einen Food Entrepreneurs Club, Markthallen und Wochenmärkte, das Marktschwärmer-Netzwerk und SoLaWis, den Ernährungsrat und Restaurants, die als Gemeinschaft bei Bauern in der Region bestellen, um für Erzeuger eine faire Struktur zu kreieren. Ich mag das grundsätzliche Miteinander der Food-Szene in Berlin sehr. In Kopenhagen ist das anders. Natürlich habe ich auch Reality-Check-Momente: Wenn ich jeden Tag am Hühnerhaus auf der Sonnenallee vorbeigehe und sehe, wie sich die Antibiotika-Hühnchen drehen und wie viele Kleinfamilien und junge Leute da ihr Abendessen verzehren, fühlen sich meine Gedanken dekadent an.
Als Vertreterin der Food-Generation – was wünscht du dir und fühlst du dich wohl in dieser Szene?
Ich komme aus einem winzigen Dorf in Niederösterreich. Mein Papa ist Winzer, meine Tante hat ein Restaurant in der Wachau. Neben meinem Großonkel war ich die einzige Person in unserer Familie, die zur Uni ging. Ursprünglich wollte ich Anwältin werden und richtig Geld verdienen, habe dann aber Literatur- und Kulturwissenschaften studiert. Dass ich zehn Jahre nach dem Abschluss jetzt doch beim Essen gelandet bin, finde ich spannend. Ich denke, das sagt viel über den Begriff der Food-Generation. Ich sehe die Szene in ihrem ganzen Umfang und habe keine Restaurant-Listen, wo ich abhake. Ich hab nicht gespart, um ins Noma gehen zu können. Ich kann auch nicht stundenlang in Arbeitskreisen aktionistische Programme ausarbeiten. Ich bewege mich dazwischen und versuche mit allen Parteien in Kontakt zu bleiben. Das klingt kitschig, aber ich glaube an die verbindende Kraft von Essen.
Was waren deine Erfahrungen bevor du ausgewandert bist?
Ich habe über zehn Jahre bei der Berlinale gearbeitet, dort auch ein Jahr im Kulinarischen Kino. Dem scheidenden Intendanten Dieter Kosslick war das Thema Essen und Nachhaltigkeit immer wichtig. Ich kann mich noch an die Diskussionen zum ersten Jahr mit nur vegetarischen Empfängen erinnern. Jetzt regt sich keiner mehr auf.
Danach zwei Jahre bei der Markthalle Neun zu arbeiten war eine unglaublich wichtige Erfahrung. Meine Zeit in einem französischen Food-Start-up war das beste, was mir passieren hätte können. Dass Transparenz und Wissen zu teilen mit dem Schaffen von Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein einhergeht, meine humanistische Grundüberzeugung aus dem Studium, habe ich hier in einer Firmenstruktur umgesetzt miterlebt. Nach vielen Jahren in Berlin war ich bereit für eine neue Stadt und wollte das Angebot aus Kopenhagen nicht ablehnen.
Was steckt hinter dem von dir gegründeten Clam Club?
Jeder Abend ist einer Filmemacherin und einer Köchin gewidmet. Der letzte Clam Club fand am 8.3. im Wolf Kino statt. Gezeigt wurde der neue Film von Lola Randl, der im Mai in die Kinos kommt. Gekocht hat Laura Villanueva Guerra, auch bekannt als Tausendsünd. An weiteren Terminen für 2019 in Berlin und anderen Städten arbeite ich gerade noch. Neu ist, dass es nicht nur Filme, sondern auch Buchpräsentationen und Performances geben wird. Die Grundidee „Spotlight on women“ bleibt, wobei ich es nicht genug betonen kann: die Abende sind für alle offen. Ich habe die Arbeit am Clam Club vor mehreren Jahren begonnen. Meine Leidenschaft für Kino und Kultur, Essen und Netzwerke wird hier verbunden.
Clam Club
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