„Wir dürfen nicht auf die großen politischen Lösungen warten“
2012 hat er angefangen mit seinen Touren. In einem umgebauten Landrover startet David Groß 2012 seine europaweiten Besuche. Unter dem Motto Wastecooking sucht er die Begegnungen mit Menschen, die sich gegen Lebensmittelverschwendung engagieren. Damals dokumentierte er das auf Youtube, heute arbeitet er mit arte zusammen und zeigt im Oktober in Japan seinen Film
Interview: Eva-Maria Hilker
Der erste Eindruck – Sie fahren um die Welt und treffen Leute, die gut kochen können?
David Groß: Ja genau! Wir fahren mit einem Wastemobil um die Welt, aber kochen mit dem, was andere verschwenden. Wir protestieren damit gegen Lebensmittelverschwendung – mit viel Genuss und ohne moralischen Zeigefinger. Wir haben bereits zehn Länder in Europa bereist und haben verschiedene Facetten der Verschwendung aufgezeigt. Das beginnt mit der Landwirtschaft und dem was bereits am Feld verschwendet wird, führt über die Supermärkte, die wegwerfen, weil Produkte abgelaufen sind, geht über Gastronomie und Restaurants, wo auch noch viel zu viel weggeworfen wird, bis hin zur Fischerei und den privaten Kühlschränken. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette findet Verschwendung statt und das wollen wir aufzeigen und kreative kulinarische Lösungen mitliefern.
Sie haben eine recht unkonventionelle Küche dabei.
Sie ist unser Markenzeichen. Es ist ein Müllcontainer, der zu einer mobilen Küche umgebaut wurde. Und nicht zu vergessen: unser Wastemobil fährt mit gebrauchten Pflanzenöl. Damit fahren wir los und treffen Köche, Aktivisten und Wissenschaftler, die sich für einen nachhaltigen Lebensstil stark machen.
Pflanzenöl? Funktioniert das denn immer?
Zugegebenermaßen im Winter nicht so gut. Ansonsten bekommen wir von Imbissbuden das Frittieröl, filtern das und füllen das in den Tank vom Landrover. In Berlin haben wir das Öl von Curry 36 bekommen.
Zurück zum Thema Lebensmittelverschwendung. In den Nachkriegszeiten musste der Teller aufgegessen werden. Lebensmittel wurden als kostbares Gut geschätzt.
Man kann durchaus sagen, dass mich meine Oma zu diesem Projekt inspiriert hat. Für sie war Verschwendung undenkbar. Sie hat den Krieg miterlebt. Ihr hat das im Herzen weh getan, zum Beispiel Brot im Müll zu sehen. Wir können von der Großelterngeneration viel lernen, wenn es um Resteverwertung geht.
Der aktuelle Zustand, unsere Art der Resteverwertung ist wohl weit davon entfernt bzw. gibt es kaum.
Die Verschwendung ist in Mitteleuropa und in anderen Industrienationen sozusagen ein Luxusproblem, ein Symptom der Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Allerdings gibt es auch in anderen Weltgegenden Verschwendung. Aus anderen Gründen, wie zum Beispiel mangelnde Lagerung oder Kühlung. Es ist schon traurig, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weggeworfen werden, während knapp eine Milliarde Menschen an Hunger leiden. Abgesehen von der ethischen Dimension macht das natürlich auch ökonomisch überhaupt keinen Sinn und wir können uns das in einer Welt der begrenzten Ressourcen einfach nicht leisten.
Ist denn nicht Massenproduktion von Lebensmitteln ein notwendiges Übel?
Das dachte ich anfänglich auch. Aber es gibt Untersuchungen und auch ein Film von Valentin Thurn, der klar macht, das rund 60 Prozent der Weltbevölkerung von Kleinbauern ernährt werden. Wir in Mitteleuropa sehen das wegen der Massenproduktion weniger. Aber in Afrika, China und Indien entspricht das der Realität. Über das Thema Monokulturen müssen wir in diesem Zusammenhang wohl nicht mehr reden. Das weiß mittlerweile jeder, was diese Anbauweise für fatale Auswirkungen hat
Aktuell wird dieses Thema öffentlich und politisch thematisiert. Lässt sich an der heutigen Situation grundlegend etwas verändern?
Ich sehe die Zukunft positiv. Ich habe das Gefühl, es ist einiges in Bewegung gekommen in den letzten Jahren. Vor fünf Jahren wurden wir mit unseren Aktionen noch für verrückt erklärt. Inzwischen ist vieles davon salonfähig geworden. Vor allem wenn ich Aktionen mit Kindern und Jugendlichen mache, habe ich den Eindruck, dass es hier schon viel mehr Umweltbewusstsein gibt und das gibt mir Mut.
Welche Perspektiven sehen Sie in Ihren Aktionen?
Für mich gehen unsere Aktionen über kochen mit abgelaufenen Lebensmitteln weit hinaus. Für mich steht der soziale Aspekt beim Kochen im Vordergrund. Ein gutes Beispiel ist die Schnippel-Disco, wo krummes Gemüse, das nicht verkauft werden kann, gemeinsam geschnipselt wird, dazu legt ein DJ coolen Sound auf. Hunderte Menschen kommen zusammen, das Essen ist gratis, man verbindet Sinn und Spaß und baut eine Community auf. Wir dürfen nicht auf die großen politischen Lösungen warten, im Kleinen beginnt das Gute, das zukunftsweisend ist.
Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Am meisten hat mich ein sozialer Koch in Griechenland inspiriert, er heißt Kostas und sein Koch-Kollektiv heißt the other human. Er ist durch die Wirtschaftskrise arbeitslos geworden, hat an Depressionen gelitten, hat sich durch soziale Koch-Aktionen zurückgekämpft, kocht ausschließlich mit Lebensmitteln, die sonst im Müll landen würden. Er hat mit einer Suppenküche in Athen angefangen, inzwischen sind es Dutzende Suppenküchen in ganz Griechenland. Tausende Menschen bekocht er gratis jeden Tag, ganz normale Leute, aber auch für Arbeitslose und Flüchtlinge. Sein Kochlöffel ist das Ruder eines Flüchtlingsbootes, das er von Flüchtlingen geschenkt bekommen hat, die er bekocht hat. Das hat mich sehr inspiriert und auch sehr berührt. Das zeigt, wie man mit einer Krise auch umgehen kann, nämlich menschlich, solidarisch und mit großer Lebensfreude.
Welches Land hat es bisher am weitesten gebracht mit der Reste-Verwertung von Lebensmitteln?
Das ist eindeutig Dänemark. Dort gab es den ersten Waste-Supermarkt, das erste Waste-Restaurant. Die Niederländer sind generell weit vorne was Nachhaltigkeit betrifft. Sie richten ihr Augenmerk zum einen auf Nahrungsmittel, die direkt vor der Haustür wachsen, seien es Kräuter, Salate, Pilze usw. Zum anderen entdecken und entwickeln sie neue Produkte mit Algen, die als zukünftige Nahrung eine Rolle spielen werden.
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