Es ist eine sehr spannende Zeit!
Kulinarisch wird viel experimentiert und Neues ausprobiert – so viel wie selten. Nicht nur die neue Generation probiert aus,
Die Liebe zu gutem Essen wird gerade auf die Probe gestellt. Es läuft nicht rund. Wie in jeder Beziehung geht es um Kompromisse, um tragfähige, um zugewandte Angebote von beiden Seiten. Thanita und Niklas Wolff haben das begriffen. Die beiden haben mit ihrem Pop-up Thai Noods bewiesen, dass es funktionieren kann. Als in den sozialen Medien zu erfahren war, dass das Thai Noods – Spezialität ist das Pad Thai – für ein paar Tage in die Räume vom ehemaligen Kin Dee einzieht, hatten sich innerhalb kürzester Zeit rund 400 Gäste angemeldet.
Dieser Erfolg kommt nicht von alleine, er hat selbstverständlich eine Vorgeschichte. Angefangen hat es in München, Thanita kochte während der Corona-Zeit für Freunde und Bekannte in großen Töpfen in der eigenen Küche zeitgemäßes Curry und weitere verschiedene thailändische Gerichte. Diese wurden dann einmal in der Woche ausgeliefert.
Warum sie nach Berlin gezogen sind? Versprach ihnen die Stadt mehr Chancen? Thanita sorgte dafür, dass das „Khwan“ auf dem RAW-Gelände zur angesagten Adresse wurde – leider ist es seit geraumer Zeit geschlossen. Und weiter ging es mit einer gemeinsamen Aktion, dem Pop-up Lobb von Bartender Arash Ghassemi. Einen Monat lang gastierte die Crew im „Casa Camper“.
Das ist typisch für Pop-ups. Sie finden immer wieder neue Adressen, die zu einer begrenzten Zeit aufmachen. Neben der Kalkulierbarkeit, was die fixen Kosten und den Wareneinsatz betrifft, ist es ein Experimentierfeld. Wie lassen sich Ideen umsetzen, wie kommen die bei den Gästen an, was ist zukunftsfähig? Es garantiert immer eine gewisse Exklusivität und fordert Flexibilität – und Marketing.
„Food is a big Thing“, für Thanitas Familie in Thailand spielt Essen eine große Rolle. „Die Familie trifft sich zu gemeinsamen Mahlzeiten und bespricht neben allen möglichen Themen, was es als nächstes zu essen gibt.“ Thai-Küche sei eine dynamische Küche, die kreativ immer weiterentwickelt wird. Jetzt sind die beiden erst mal auf einem Italien-Trip. Irgendwie werden die beiden wieder irgendwo für Thaifood sorgen und irgendwann vielleicht ein Restaurant eröffnen.
Einige weltberühmte, mit Sternen prämierte Köch*innen haben diese Plattform für Experimente genutzt. René Redzepi, Küchenchef und Mitbesitzer des Restaurants Noma in Kopenhagen, hat seinen Horizont mit Pop-ups in verschiedenen Ländern erweitert, Tohru Nakamara betrieb 2020 ein Pop-up-Restaurant in München oder Robert Rädel führte 2016 für kurze Zeit ein Pop-up in Mannheim.
So können also auch Sterne-Karrieren starten. Mical Rosenblat und Karl-Louis Kömmler haben das klar vor Augen. Vor fast zwei Jahren haben die beiden angefangen Partys zu organisieren, dazu gab es auch etwas zu essen. „Wir wollten bessere Produkte, exklusiver arbeiten.“ Das war vor Corona. „Wir haben uns in dieser Zeit viel selbst beigebracht, geplant und ausprobiert.“ Denn in einem Raum mit mehreren Leuten wollte man sich in Zeiten der Pandemie nicht treffen. Mical Rosenblat fand diese Zeit nicht nur anstrengend. Danach ging es los mit Pop-ups in Karl-Louis Wohnung. Loumi nannte sich schon damals die Option, ohne großes Risiko auszuprobieren, wie es mit Fine Dining funktionieren kann. „Wir haben einfach gemacht, nicht viel überlegt. Natürlich kam irgendwann mal der Gedanke, dass man eventuell ein Restaurant öffnet.“
Die beiden haben sich vor Jahren in Berlin kennengelernt. „Ich bin zu einem Freund gezogen, weil meine Wohnung noch nicht fertig war.“ Und so hat Mical das gemeinsame Projekt mit Karl-Louis gestartet. Das Interesse an gutem Essen hat sie verbunden. Sie sind viel Essen gegangen und so hat sich das immer weiterentwickelt. Anfangs staunten die Gäste nicht schlecht, auf welchem Herd das Essen zubereitet wurde. Mit der Zeit rüsteten die beiden die Küche auf, im Wohnzimmer, an einem großen Tisch, wurde gegessen.
Heute ist der Gastraum im Restaurant Loumi nicht viel größer. Und es hat sich herausgestellt, dass Mical die bessere Gastgeberin ist und Karl-Louis der bessere Koch. „Laut und leise: Karl-Louis ist introvertiert, ich extrovertiert. Wir sind sehr gegensätzlich.“ Der Küchenstil? Produktorientiert. Die Basis ist die französische Küche, dazu kommt ein Spiel aus Schärfe und Säure. „Wir wollen den Gästen etwas bieten, deshalb müssen wir genau wissen, wie viele kommen, wie viel Wareneinsatz wir brauchen. Wir fangen mittwochs bei null an“, so Karl-Louis. „Die herausfordernden Zeiten gehen nicht an uns vorbei, trotzdem wollen wir unserer Linie treu bleiben.“ Auch für Mical bleibt es die Erfüllung eines Traumes. Als sie eröffneten, schrieb jemand ins Gästebuch: „Dem Mutigen gehört die Welt!“ Daran erinnert sich Mical manchmal, wenn die Verantwortung auch für die Mitarbeiter auf ihren Schultern lastet.
Gastgeberschaft muss neu gedacht werden. Das haben auch andere, solche Adressen wie das Papillon verstanden. Mit ihrer gerade eröffneten Terrasse setzen sie Maßstäbe, was an kruden Orten alles an Gastlichkeit möglich ist. Das Design – ein bisschen Barbie-Style – versetzt einen in Urlaubsstimmung, der Service um Karina Bastos ist charmant und kommunikativ. Culinary Director Nadav Kundel hat eine Speisekarte kreiert, bei der sich Lifestyle, Mainstream und Genuss nicht widersprechen. Entspannteste Zeit ist von 18 bis 21 Uhr, danach wird angeblich auf den Tischen getanzt. „Ein Restaurant, welches zu einer großen Party wird, sobald die Küche geschlossen hat – oder aber auch schon vorher.“
Auf Augenhöhe – so verstehen jüngere Gastgeber*innen den Umgang mit dem Gast. Egal ob in Club-Restaurants, bei den Pop-ups, bei neuen oder schon länger existierenden Restaurants: verständnisvolle Kommunikation und Kompromissbereitschaft ist die Devise.
Und es sind die Persönlichkeiten. Wie Hanna Karpova, die neue Restaurantleiterin von Aerde. Sie kommt aus Kiew und hat sich ein umfangreiches Weinwissen angeeignet, auch über die aus Osteuropa. Hanna will die Gäste zufriedenstellen, sogar ein bisschen glücklich machen, wenn möglich. Wenn nicht, bleibt sie auf einer sachlich distanzierten Ebene. Was okay ist, aber man verpasst eine Gelegenheit, jemand Neues unverbindlich kennenzulernen.
Auch Küchenchef Igor Kazakov hat ukrainische Wurzeln und die beiden verstehen sich fast wortlos, beide sind offen und direkt. In jedem Gericht steckt eine kleine florale Besonderheit. In einem der wohl kleinsten Restaurants Berlins verfeinert Igor die Gerichte mit selbst gesammelten, eingelegten, fermentierten Kräutern, Beeren, Samen und Früchten. Sie suchen gemeinsam die Getränkebegleitung zu den Gerichten aus.
Eigentümer Justus Will und das Team haben sehr schnell auf die Wünsche der Gäste reagiert. Es war nie ein Thema, wenn die Gäste kein Menü oder sich etwas teilen wollten. Heute gibt es keinen Menü-Vorschlag mehr, heute kann man die ganze Karte bestellen und alle Gerichte teilen. Gleichzeitig, so registriert Igor, ist das Interesse an den Produkten, an den Zutaten, geringer als vor fünf, sechs Jahren. Deshalb funktionieren Sharing-Konzepte gut. Mit Freunden das einfache Essen zelebrieren. „Wir haben uns gefragt, wie wir persönlich am liebsten essen gehen. Auch wir wollen einen legeren Umgang und das essen, was wir uns teilen können.“ Am Ende müssen die Gäste das Gefühl haben, dass sie für das, was sie am Ende bezahlt haben, einen besonders tollen Abend hatten, dass man „für sein Geld etwas Besonderes kriegt“, so Justus.
Die Preissensibilität ist aktuell sehr hoch. Unsichere Zeiten und die deutsche Mentalität machen es den Genussproduzenten nicht leicht. Die Zielgruppe der Haute Cuisine wird kleiner. Doch es gibt sie, die Konzepte, die angemessen auf die gegenwärtige Lage reagieren. Im Sternebereich: Das Faelt zum Beispiel bietet sechs Veggie-Gänge für rund 100 Euro an, Marie-Anne Wild und Tim Raue haben den Lunch wiederbelebt, im Nobelhart & Schmutzig versucht man, den Gästen entgegenzukommen. Und Hans Richard hat in seinem gleichnamigen Restaurant auf den Stern verzichtet und serviert entspannte Richard Bistro-Küche.
Besonderen Mut und Innovationsfreude beweist auch Geschäftsführer Jonathan Kartenberg. Gerade hat er den Lunch im Irma la Douce eingeführt. Einen Lunch für jeden. Das Besondere daran: Das Irma la Douce ist ein Sterne-Restaurant. Doch darauf bilden sich Kartenberg und das Team nichts ein in diesen Zeiten, wo man sich auf nichts verlassen kann. Außer auf Gäste, die sich wohlfühlen, bei „normaler“ Küche und zugänglicher Preisgestaltung.
Vielleicht ist das momentan die erfolgreiche Überlebensstrategie: ohne abgehobene Attitüde einfach mal was ausprobieren! Mehr Pop-up wagen!
Pop-up-Restaurant Thai Noods
Infos auf
Loumi
Ritterstraße 2, Kreuzberg,
Papillon
Hardenbergplatz 15, Charlottenburg,
Aerde
Am Lokdepot 6, Schöneberg,
Faelt
Vorbergstraße 10a, Schöneberg,
Restaurant Tim Raue
Rudi-Dutschke-Straße 26, Kreuzberg,
Nobelhart & Schmutzig
Friedrichstraße 218, Kreuzberg,
Richard Bistro
Köpenicker Straße 174, Kreuzberg,
Irma La Douce
Potsdamer Straße 102, Tiergarten,