Reif für den Schrank
Der Trend zur Trockenreifung von Fisch nimmt Fahrt auf. Franz Michael Rohm war für eine Bestandsaufnahme in Berliner Restaurants unterwegs und stellt fest: Es schmeckt grandios
Für Fleisch finden sich die Reifeschränke mittlerweile nicht nur in zahlreichen Restaurants, sondern sogar im Supermarkt, hinter der Fleischtheke. Aber Fisch im Reifeschrank? Den meisten bekannt sind die traditionellen Fisch-Konservierungsmethoden wie Trocknen, Salzen, Pökeln und Räuchern. „Das Trockenreifen von Fisch dient hauptsächlich einem besseren Geschmack und Konsistenz“, sagt Omar Ben Hammou. Seit vergangenem September können die Gäste in seinem Restaurant Lila bis zu 15 Kilogramm schwere Island-Heilbutte am Fleischerhaken bewundern, und unterarmlange Hamachi, fettfleischige Stachelmakrelen aus dem Nordwestpazifik. Zwischen drei und fünf Tage reift der Fisch im Lila bei einer Temperatur von kühlen 1,6 Grad.
Auf die Idee mit dem Reifefisch kam der 37-jährige Peruaner nach der Lektüre des Buches „Der ganze Fisch. Rezepte von der Flosse bis zur Kieme“ von Josh Niland. Der Autor und australische Koch beschäftigte sich nach einer Zeit beim Londoner Starkoch Heston Blumenthal mit der Frage, ob das Trockenreifen auch für Fisch möglich sei, der vor den Küsten Australiens in großer Zahl gefangen wird. Das Buch wurde zum Standardwerk für eine ganze Generation von Köchen, so auch für Omar Ben Hammou.
Für Ben Hammou sei es die Entdeckung eines neuen Universums gewesen. Dass Fisch am besten leinengeangelt in den Verkauf gelangt, wusste er schon längst. Neu war ihm die Ike-Jime-Methode der Schlachtung, bei der mit einem Nadelstich ins Gehirn, Kiemenschnitt und einem Draht ins Rückenmark die tierschonenste Weise der Tötung und eine optimale leischqualität ermöglicht wird. „Wichtig ist auch ein trockener Transport. Auf Eis ist für die Trockenreifung fast unmöglich. Und schließlich die Trockenreifung selbst, bei der die Struktur des Bindegewebes aufbricht, und man dadurch einen verbesserten Geschmack erzeugt“, so der der Koch.
Erste Erfahrung mit Nilands Technik der Trockenreifung sammelte er im Sterne-Restaurant Attica in Melbourne, später arbeitete Ben Hammou im Drei-Sterne-Restaurant Le Bernardin in New York als Chef de Partie. Seinen Stil nennt er Peruvian Progressive. Aktuell finden sich mehrere Trockenfischgerichte auf seiner Karte.
So moduliert er beispielsweise die klassische Ceviche mit meerig schmeckenden Stücken vom fünf Tage trockengereiften Heilbutt in einer von roten Jalapeños geschärften Leche de Tigre, Limettensaft und Fischbrühe, begleitet von krachig gerösteten Maiskörnern und wachsweichen Cuzco-Mais-Körnern, getoppt von geaschten Süßkartoffel-Chips. Zu den weiteren Highlights zählt ein dickes, gedünstetes Stück vom luftgetrockneten Heilbutt mit einer hellen Brotkruste, gebettet in einer austarierten Sauce von Korianderpüree, kleinen gelben Paprika, grünem Knoblauch, Schalotten, geschmolzener Butter und Limettensaft. Klare Fischaromen, umwerfender Geschmack der Sauce und floraler Biss von grünen Stangenbohnen machen diesen Teller zu einem Erlebnis. Den roh-gereiften Hamachi, eine Stachelmakrele, kombiniert er mit einer Soja-Ingwer-Schalotten-Vinaigrette, Avocadomousse und Gurke. Neu ist der Gang des Hamachi-Halsstückes, Hamachi Collar. Der wird unter großer Hitze auf dem japanischen Robata-Grill kurz gebraten.
Zu den Pionieren der Reifung von Fischen in Berlin zählt Lode van Zuylen. 2016 hatte er unweit des Görlitzer Parks mit seinem Kompagnon Stijn Remi das Restaurant Lode & Stijn mit hochwertiger Produktküche eröffnet. Mittlerweile betreiben die beiden ein zweites Restaurant, das Remi an der Torstraße. Natürlich standen bei den gebürtigen Niederländern von Anfang an zahlreiche Fischgerichte auf der Karte, allerdings Frischfisch. „Das mit dem trockengereiften Fisch war ein Zufall“, erklärt der 36-jährige Niederländer. „Im Juli 2020 war ich in Verlegenheit, wir hatten gut verkauft und brauchten Fisch. Ein befreundeter Koch hätte einen Wolfsbarsch, der allerdings trocken gereift sei. Ich war zuerst etwas skeptisch, aber auch neugierig. Sofort überzeugte mich die Frische und die geschmackliche Qualität und wir beschlossen, damit zu arbeiten.“
Es galt, sich über Literatur und Internet zu informieren, und mit befreundeten Köchen auszutauschen. Beim Bezug von Süßwasserfischen arbeitet van Zuylen seit langem mit
Als nächstes folgte der Kauf eines zusätzlichen Reifeschranks, nur für Fisch. 14 Tage reifen die Fische in der Regel bei Lode & Stijn bevor sie für die Gäste verarbeitet werden. „Unser erster Gang mit trockengereiftem Fisch war gegrillter Wolfsbarsch mit Aubergine und einer leicht scharfen Molkesauce“, erinnert sich Lode van Zuylen. Im Juli stand der Gang Flussbarsch von Sebastian Baier mit Sauerampfer-Vinaigrette und Zuckererbse auf dem Menü. Und ein Meeresfisch, Seeforelle, die roh mit Johannisbeeren und dicken Bohnen zu Tisch kommt.
Mit einem Sieben-Gänge-Fischmenü hat die Koreanerin Jinok Kim-Eicken vom Restaurant NaNum gegenüber des Jüdischen Museums den Freitag und Samstag zu Fischtagen erkoren. Seit mehr als vierzig Jahren wandelt sie zwischen den ost-westlichen Kulturen und versteht ihr 2018 eröffnetes Restaurant als Vermittler alter koreanischer Techniken der Zubereitung. Gleich am Eingang ihres Sichtbeton-dominierten Restaurants stehen unübersehbar die beiden Kühl- und Reifeschränke für Fisch. In einem leuchten orange-rote, ausgenommene Goldforellen. Süßwasserfische bezieht Frau Kim wie Lode van Zuylen über „25 Teiche“, Meeresfische wie Streifenbarsch über
Seit 1979 lebt sie in Berlin, hat über den DAAD ein Stipendium für ein Gesangsstudium an der Hochschule der Künste erhalten, ist gelernte Altistin. Und nicht nur das. In der Galerie ihres Restaurants hat sie eine Keramikwerkstatt, in der sie asiatisch inspirierte Schalen, Tassen und Teller per Hand formt und im Ofen brennt. Ihre dritte Leidenschaft ist der Anbau von koreanischem und deutschem Gemüse auf einem Feld bei Potsdam, sowie deren Weiterverarbeitung durch Fermentierung und Trocknung.
Da war der Weg zum trocken gereiften Fisch nicht weit. „Süd-Korea ist im Grunde eine von Meer umgebene Halbinsel. Wir haben Dutzende Sorten Fisch, die man in Deutschland gar nicht kennt, und hunderte Rezepte, sie zuzubereiten.“ Für ihr Fischmenü interpretiert sie bei der Zubereitung traditionelle Methoden mit modernem Twist. Es beginnt mit getrockneten und frittierten Flossen und Fischhaut. Den Gang Goldforelle – der Fisch wurde mariniert und dann drei Wochen im Dry-Aged-Schrank gereift – begleitet Rettichsalat und eine spezielle, hausgemachte Sojasauce. Zu Naturreis werden verschiedene fermentierte Kostproben gereicht, wie Oran, eine koreanische Art von Botarga, fermentierte Sardinen, Muscheln oder getrocknete Sardellen.
Seit dem aufwendigen Umbau des Rutz, dem einzigen Berliner Drei-Sterne-Restaurant, steht an der Chausseestraße seit April dieses Jahres Fisch optisch im Mittelpunkt. Im Zentrum einer Art von gigantischem Setzkasten mit Dutzenden eingelegten, fermentierten oder eingekochten Gemüsen hingen bis zum Sommer drei Dutzend in Skandinavien getrocknete Dorsche.
Marco Müller wäre nicht Marco Müller, wenn er sich dem Thema Reifung, und vor allem von welchem Fisch, nicht auf eine sehr avantgardistische und handwerklich ausgefeilte Art und Weise nähern würde. Denn er reift für einen außergewöhnlichen Gang seines Acht-Gänge-Menüs Karpfen. Zu diesem Süßwasserfisch fallen vielen Menschen in Deutschland Geschmacksattribute wie muffig, schlammig und fade ein. Das ist der klassischen Zubereitungsart der unter dem Namen der botanischen Gattung Cyprinus bekannten Süßwasserfische zu verdanken. „Karpfen war der Klassiker zu Weihnachten. Meine Oma hat den Fisch filetiert, zweimal mehliert und mit viel Butter gebraten“, berichtet der 51-Jährige. Der Spitzenkoch suchte für die Trockenreifung nach einem regionalen Fisch, der in sein Konzept größtmöglicher Nachhaltigkeit passt und stieß neben Zander und Forelle auf den alten Weihnachtsbekannten.
Nach Recherchen bei den
Zweiter wichtiger Punkt war, dass Müller den Fischern die Abnahme von rund 500 Fischen mit rund 3 bis 3,5 Kilo Fanggewicht garantieren konnte. Auch die Müritzkarpfen für Müller werden nach der japanischen Ike-Jime-Methode geschlachtet. Nach dem Ausbluten werden sie 24 Stunden auf Eis gelegt, bevor sie nach Berlin geschickt werden. Hier reifen sie vier bis fünf Tage bei Müller im Dry-Aged-Reifeschrank trocken.
Getreu der von Josh Niland entwickelten Philosophie „von der Flosse bis zur Kieme“ war für Müller klar, „So machen wir das auch beim Karpfen.“ Heißt: Selbst Gräten und Schuppen werden verwendet. Zubereitet wird der fingerdicke Gang mit dem Karpfen-Kotelette von Müller in einer kaum zu beschreibenden Vielzahl von Arbeitsschritten, von denen die wichtigsten genannt werden sollen: eingelegt in der japanischen Fermentsauce Koji, gegrillt auf der Teppanyaki-Ceranplatte und mit konzentriertem gelben Tomatenfond verfeinert.
Noch aufwendiger ist der Gang Karpfen-Tatar: Zartes Fleisch aus dem Rückenstrang, mit verschiedenen Vegetationsstufen von Holunder, Apfelessig und Buttermilch. Geschmacklich, wie alles bei Müller, eine Sensation. Im Sommer allerdings ist im Rutz Karpfenpause. „Wenn das Wasser zu warm wird, sinkt die Qualität. Ab Oktober nehmen wir den trocken gereiften Karpfen wieder auf die Karte.“
Lila
Paul-Lincke-Ufer 39/40, Kreuzberg,
Lode & Stijn
Lausitzer Straße 25, Kreuzberg,
NaNum
Lindenstraße 90, Kreuzberg,
Rutz
Chausseestraße 8, Mitte,
Rezepte von der Flosse bis zur Kieme
von Josh Niland,
Prestel Verlag,
256 Seiten, 38 €,