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Apfelernte in Philadelphia

Es ist höchste Zeit für die Apfelernte. Das Team von Ostmost hat nach Philadelphia in Brandenburg eingeladen. Dort existiert eine der größten Streuobstwiesen. Autor Leon Disser muss ran und ordentlich pflücken

„Streuobst ist kein Fallobst!“ Gleich zu Beginn des Erntens räumt Ostmost-Mitbegründer Lukas Küttner mit diesem häufigen Missverständnis auf. Während Fallobst Früchte seien, die bereits von alleine auf den Boden gefallen sind, beschreibe Streuobst eigentlich nicht die Frucht an sich, sondern die Anbauform. „Das kann man sich leicht merken, wenn man sich denkt, dass es die Bäume sind, die verstreut stehen.“

Und aus dieser Verstreuung folgt viel Gutes, was bei herkömmlichem Plantagenanbau kein Platz mehr hat. Denn während Obstanbau in Plantagenform vor allem auf Masse pro Quadratmeter geht, „das kapitalistische System auf die Natur anwendet“, wie Küttner sagt, werden Streuobstwiesen zum größten Teil sich selbst überlassen und sind damit ein wahrer Schatz für Flora und Fauna. Sie bieten Lebensraum für bis zu 6000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten und zählen damit zu den artenreichsten Biotopen Europas. Kleine Regenwälder werden sie bei Ostmost liebevoll genannt. Doch damit sind auch sie leider nicht vor dem Klimawandel gefeit, denn wie Küttner treffend feststellt, macht dieser selbst vor Brandenburg nicht halt.

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Jedoch sind besagte Streuobstwiesen in diesem Sinne den Witterungen weit weniger ausgesetzt als herkömmliche Monokulturen. Zum einen wurzeln die ausgewachsenen Bäume recht tief, was sie resistenter gegenüber den langen Dürreperioden macht, die es nun alljährlich zu meistern gilt. Zum anderen wachsen und gedeihen auf ihnen viele unterschiedliche Apfelsorten, die zu verschiedenen Zeiten blühen und reifen. So können die dem Klimawandel geschuldeten späten Frostphasen zwar einiges an Schaden anrichten, wenn sie auf die jungen Blüten der Bäume treffen, allerdings erwischt es dann nicht alle auf einmal.

In diesem Jahr, sagt Lukas Küttner, während er die Erntehelfer an den ausgewachsenen Bäumen entlangführt, sei man von den Frostschäden allerdings zum großen Teil verschont geblieben. Das lässt sich auch für den städtischen Laien leicht sehen, hängen die Bäume schließlich über und über voll mit reifen Früchten. Manche in knalligem Rot, andere in zaghaftem Gelb, viele irgendwo dazwischen. Es scheint, als schreien die Bäume förmlich danach abgeerntet zu werden. Dies tue den Bäumen in der Tat einen Gefallen, so Küttner. „Denn irgendwo haben diese Wesen auch ihre Art von Seele.“

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So werden also Teams gebildet, um den beseelten Wesen gefällig zu werden. Gemeinsam werden Planen unter den Bäumen verteilt, auf denen die Äpfel landen sollen. Dann gilt es die Äste zu schütteln. Zu Beginn noch zaghaft vom Boden aus und mit Stangen, zeigt sich schnell, dass Klettern die effektivere Variante ist. Oben im Geäst wird aus Leibeskräften geschüttelt, während unten die Früchte auf die knisternden Planen prasseln, dass es eine Wonne ist. Stolze zwei- bis dreihundert Kilo Früchte kann ein ausgewachsener Baum tragen.

Sind die Äpfel gefallen, werden sie anschließend aussortiert. Es gilt: Macken und Schorf sind in Ordnung, weiche und braune Stellen allerdings nicht. Diese würden den Saft verderben, der gleich im Anschluss an die Ernte aus den Früchten gepresst wird. Während die Luft vom munteren Summen der Hornissen erfüllt ist, denen in der Mitte der Streuobstwiese ein Zuhause erbaut wurde, werden die angefaulten Äpfel gleich wieder der Natur zurückgegeben. Dem Verfall überlassen bilden sie Humus und nähren ihre Umwelt. Ein perfekter Kreislauf, wie nur die Natur ihn erfinden kann. Das Aussortieren ist eine gemütlichere Angelegenheit als das Klettern und Schütteln. Dabei bleibt Raum für Gespräche natürlich immer mit dem aktuellen Thema Nummer eins im Auge.

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„Corona ist einfach Scheiße!“, bringt es Lukas Küttner recht unverblümt auf den Punkt. Wie alle Gastronomiebetreiber und -belieferer hat das Virus und seine Bekämpfung natürlich auch die Firma Ostmost nicht verschont. Geschlossene Gastronomien und unsichere Kundschaft haben das Jahr geprägt. Für die nachhaltigen Saftproduzenten war vor allem das Ausweichen auf den Einzelhandel überlebenswichtig. Das war zwar so nie geplant, aber in der aktuellen Phase denkbar notwendig. Trotzdem, so Küttner, bange es ihm vor dem Winter. Eine Angst, die sicher die meisten Gastronomen teilen.

Doch auch diese Sorgen sollen den Tag nicht verderben, und so ziehen sich die Gespräche auch wieder zu schöneren Themen, allen voran den schier endlosen Vorteilen einer Streuobstwiese. Denn diese kommt dank ihres ausgeglichenen biologischen Gleichgewichts vollkommen ohne Pestizide aus. Nur ein wenig Baumschnitt braucht sie, damit die Bäume nicht unter der Last der Früchte brechen, wie es einem der größeren in diesem Jahr passiert ist. Fast waagerecht hängt sein großer Ast über dem Boden, über und über voll mit Früchten, die dem alten Gewächs zum Verhängnis wurden.

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Während es auf der Wiese noch sammelt, schüttelt und pflückt, geht es ein paar hundert Meter weiter schon an die nächste Station. Die mobile Saftpresse. Mathias Stückroth und Sarah Schweier haben sich ihren Anhänger erst dieses Jahr gekauft. Die Idee dazu kam ganz nach newtonscher Manier unter dem eigenen Apfelbaum zustande.

Die Maschine leitet die Äpfel durch ein Tauchbecken, in dem sie gereinigt werden, in einen Häcksler. Dieser verwandelt die prallen Früchte in dichte Maische, die in Presstücher gefüllt mit einem Druck von achtzig Tonnen anschließend entsaftet wird. Dieser Saft läuft dann durch einen Erhitzer, der ihn bei ca. 78 Grad Celsius bis zu einem Jahr haltbar macht.

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Doch natürlich kann er auch direkt genossen werden. Und so verteilen sich die Becher warmen frischen Apfelsaftes unter den Helfern und den Vertretern der Dorfgemeinschaft, die sich die Sache mal aus der Nähe ansehen wollen und gleich ein paar wertvolle Tips bereithalten, über die Zusammenhänge von Apfelsaftkonsum, Verdauung und Geschwindigkeit

Und während die goldene Sonne des Spätsommers langsam hinter den Baumwipfeln verschwindet, zeigt das gemütliche Beisammensein noch einmal, dass Streuobst weit mehr ist als ein paar verstreute Bäume. Streuobst, das ist Gemeinschaft. Das ist Kultur. Und diese gilt es, den kapitalisierten Monokulturen zum Trotz zu bewahren. (Leon Disser)

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Tel. 030 577 017 420, www.ostmost.berlin