Eines ist klar: Die Bankenhauptstadt leidet an einem überregionalen Imageproblem. Ödnis, Provinzialität und Hässlichkeit werden der Stadt gerne – gerade von BerlinerInnen – unterstellt. Dass die Stadt kulturell und gastronomisch ständig in Bewegung ist und sich immer wieder spannende neue Konzepte auftun, wissen die meisten Menschen nicht. Allein das Bahnhofsviertel, Rotlichtviertel und Szeneviertel zugleich, stand als Geheimtipp in der New York Times. Vielleicht sollte sich der ein oder andere Skeptiker auf die Tipps der Autorin Ubin Eoh verlassen
Grüne Sauce Deluxe
Wenn man vom Hauptbahnhof kommt und in die eher trostlose Ottostraße einbiegt, erwartet man kaum so etwas wie das Stanley Diamond. Allein der Raum beeindruckt: Eyecatcher sind die lange Marmorwand, eine messingfarbene, bunt schimmernde Deckeninstallation, rosa Beton und die rot leuchtende Showküche. Ein schönes Ritual nach einer langen Zugfahrt ist es, sich direkt an die hauseigene Bar zu setzen. Bei den Barkeepern fühlt man sich gut aufgehoben, die drei Stunden Zugverspätung sind längst vergessen. Besonders empfehlenswert: der Espresso Martini oder hausgemachter Vanille-Limoncello.
Auf der Karte stehen Klassiker wie das Backhendl vom Odenwalder Huhn, Bœuf Bourguignon oder Räucherforellensandwich aus dem Taunus, die Küchenchef Alex Nixdorf auf eigene Weise umsetzt – oft mit einem Touch Frankfurt, in Form einer köstlichen Grünen Sauce zum Beispiel. Die Karte wechselt regelmäßig – sollte das Wiener Schnitzel angeboten werden, unbedingt zugreifen: Die knusprig-buttrige Panade und das perfekt geklopfte Kalbsfleisch lassen einen noch Tage später daran zurückdenken. Ein weiteres Highlight: eine eigene Interpretation vom Nutellabrot, mit Valrhona-Caraibe-Schokolade, Hefeparfait und Sauerteig-Crunch. Die großen Weinkühlschränke stecken außerdem voller Naturweinüberraschungen, am besten von der Sommelière Nina Birk beraten lassen. Das Stanley ist ein Ort, an dem man beides kann: schick ausgehen und casual abhängen.
Stanley Diamond
Ottostraße 16–18, 60329 Frankfurt am Main,
Di–Do 18–23 Uhr, Fr–Sa 18–24 Uhr, Speisen ab 10 €
Latenight-Pilgerstätte
Jeder hat in seiner Stadt die eine Absackerbar – da, wo man zum Schluss des Abends immer landet. In Frankfurt ist die Amp Bar im Bahnhofsviertel für viele dieser spätabendliche Pilgerort, unter der Woche genauso wie am Wochenende. Die Bar mutiert des Öfteren zum Club, in dem namhafte DJs auflegen, von Roman Flügel über Mitbesitzer Ata Macias, der Godfather der Frankfurter Clubszene und Robert Johnson Gründer. Auch ohne DJ funktioniert das Amp gut – schon ab 17 Uhr kann man von der regelmäßig wechselnden Barkarte selbst kreierte Signature Drinks wie den „El Chapo“ auswählen, mit Tequila, Bio-Ananassaft, Bio-Limette und Salbei. Im Amp fühlt es sich ein bisschen so an wie in einem Paralleluniversum: Das retrofuturistische Interieur mit schwarzen Wänden, die in Kontrast zu Neonfarben stehen, kantigen Sitzmöbeln und zeitgenössischer Kunst von Tobias Rehberger oder Stefan Marx lässt einen schnell den Alltag vergessen. Was will man mehr?
Amp
Gallusanlage 2, 60329 Frankfurt
Heimat auf Zeit
Alt-Sachsenhausen steht für traditionsreiche Apfelweinkneipen und hübsche alte Fachwerkhäuser ebenso wie für Etablissements wie das Hooters und Shots-für-1-Euro-Bars. Inmitten dieser interessanten Mischung steht das Libertine Lindenberg – ein Hybrid aus Hotel und WG, sprich eine „Gästegemeinschaft mit den Servicefeatures eines Hotels“. Auf sieben Etagen kann man in liebevoll designten Altbau-Maisonetten und Suiten wohnen, ob für eine Nacht oder mehrere Jahre spielt keine Rolle. In dem Haus gibt es ein öffentliches Wohnzimmercafé mit Deftigem wie getrüffelter Schwarzwurzelsuppe und Stullen, im Dachgeschoss eine Küchenlandschaft mit eigenem Tante-Emma-„Lekker Lädchen“, wo Selbstgemachtes von der eigenen Farm angeboten wird. Im untersten Stock kann der Gast im Tonstudio musizieren, Filme schauen oder sich im Turnraum sportlich ertüchtigen. Wenn man Anschluss sucht, bietet sich die große Küche an, um mit den anderen Gästen zusammen zu kochen. Wer es intimer mag, kann einen privaten Hauskoch beauftragen. Eine Ecke weiter haben in den letzten Monaten schöne Barkonzepte eröffnet, wie die Naturweinbar Showmanship oder das Bonechina. Von mietbaren Fahrrädern über eine Vintagevespa zum Caravan – die Vehikel werden gestellt, um rauszukommen und sich dann wieder auf das temporäre Zuhause zu freuen.
Libertine Lindenberg
Frankensteiner Straße 20, 60594 Frankfurt am Main,