Fotos: Michael Hughes Ramona Pop
Ramona Pop

„Das ist für Berlin etwas Neues und Einzigartiges“

Hat Berlin das Potenzial, Vorreiter zu sein, was zeitgemäße Ernährung und Versorgung einer Großstadt bedeutet? Ramona Pop, Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, im Gespräch über die Gastronomie als Wirtschaftsfaktor

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Michael Hughes

Es gab ein Konzept der Markthalle Neun zur Nutzung des Großmarkts und der Beussel-Hallen. Doch statt eines Neuanfangs gibt es nun hitzige Diskussionen. Was ist geschehen?
Ramona Pop: Grundsätzlich ist es doch gut, dass durch die Initiative der Markthalle Neun und der Interessengemeinschaft vor Ort endlich eine Diskussion um den Großmarkt stattfindet. Mit der Eröffnung des Zukunftsdialogs Großmarkt möchten wir dieser Diskussion Raum geben und über Inhalte sprechen. Es gibt eine Reihe offener Fragen, die zu klären sind: Was muss ein Großmarkt bieten? Wie sieht die Zukunft in einer Großstadt wie Berlin aus in puncto Ernährung? Welche Ernährungsstrategien brauchen wir? Wie können wir regionale Produkte einbeziehen und wie muss sich ein Großmarkt zur Stadt hin öffnen, um ein alternativer Mittelpunkt für die Menschen hier zu sein?

Gibt es ein Gremium für die Neuauflage des Großmarkts oder lenken Sie das mit Ihren Mitarbeitern allein?
Der Zukunftsdialog wird von meinem Staatssekretär begleitet, aber da sind sowohl die Händler vom Großmarkt als auch die Markthalle Neun mit an Bord, außerdem die Verbraucherschutzverwaltung. Einbezogen werden zudem Fachleute aus dem Einzelhandel und aus der Gastronomie- und Ernährungsszene der Stadt, um nicht nur über eine Modernisierung und neue Konzepte für den Großmarkt zu reden, sondern sich untereinander zu beraten und hoffentlich bald etwas auf den Weg zu bringen. Da gibt es noch einiges zu tun!

Welche Rolle spielt die Markthalle Neun dabei?
Die Markthalle Neun ist sehr erfolgreich in Kreuzberg und platzt deshalb schon aus allen Nähten. Es gibt die Idee, das eigene Konzept auszuweiten auf die Produktion und Manufaktur von Lebensmitteln. Und dafür suchen die Betreiber neue Räumlichkeiten, aber die müssen nicht zwangsläufig auf dem Großmarkt liegen. Dafür gibt es auch andere Möglichkeiten in der Stadt, über die wir sprechen müssen.

Die Gerüchte, man habe die Gespräche mit der Markthalle Neun auf Eis gelegt …
… sind falsch. Wir bleiben im Gespräch. Während die Interessengemeinschaft die Übertragung des Großmarktes an sich selbst in den Fokus gestellt hat, möchten wir die Diskussionen nur erst einmal inhaltlich führen und dann sehen, welche Form das zum Schluss annimmt. Die Grundstücksübertragungen an den Anfang zu stellen, bedeutet für mich, das Pferd von hinten aufzuzäumen.

Ramona Pop 1

In Sachen Food tut sich einiges in der Stadt. Hat die Gastroszene sich eigentlich zu einem wirtschaftlich messbaren Faktor für den Tourismus in der Hauptstadt gemausert?
Das neue Tourismuskonzept für Berlin trägt die Überschrift Qualitätstourismus. Dass Menschen nicht mehr nur wegen der Kultur in die Stadt kommen, sondern auch um essen zu gehen und die tolle Gastroszene zu genießen, ist offensichtlich – auch wenn wir noch keine konkreten Zahlen erhoben haben. Die wirtschaftliche Entwicklung der Gastroszene ist noch sehr jung, also erst seit etwa fünf Jahren überhaupt spürbar. Beeindruckend ist dabei vor allem deren Vielfalt: Von Pop-up-Restaurants über kleine Imbiss-Strukturen bis hin zur Sterne-Gastronomie ist alles vertreten und diese Abwechslung macht die Stadt für Touristen jenseits der klassischen Sehenswürdigkeiten attraktiv. Sie bleiben länger und wollen die Stadt von einer anderen Seite erleben. Und anderseits, um an die Großmarkt-Diskussion anzuschließen, sehen wir, dass sich speziell in Berlin eine Gastronomie entwickelt, die sehr stark auf regionale Produkte setzt, auf Kreativität in der Verarbeitung regionaler Angebote, während gleichzeitig die vielen internationalen Einflüsse die Szene prägen. Das ist für Berlin etwas Neues und Einzigartiges, was wir hier erleben können.

Bleibt Berlin noch „arm, aber sexy“ oder wird sich die Stadt gerade auch im Sternebereich an andere Metropolen anpassen müssen?
Das sind zwei Diskussionsansätze: Dem Berlin-Kommentar „arm, aber sexy“ unseres ehemaligen Regierenden Bürgermeister hat das Bundesverfassungsgericht damals schon entgegnet, dass Berlin zwar sexy sei, aber gar nicht so arm, wie er glaubt. In Bezug auf das Essen kann ich als Grüne einem Motto wie „Geiz ist geil“ jedenfalls nichts abgewinnen. Gutes Essen hat seinen Preis, dafür muss man ein Bewusstsein entwickeln. Das ist auch ein Verbraucherschutz-Thema: Was für eine Qualität kann Fleisch haben, das 1,50 Euro das Kilo kostet? Unter welchen Bedingungen ist das Tier gehalten worden? Auf der anderen Seite gibt es gerade in Berlin eine Bandbreite auch in der Preisgestaltung. Hier kann man für wenig Geld gut essen: In kleineren Läden wird frisch gekocht mit Gemüse und tollen Gewürzen. Und selbst die Sternegastronomie, wenn man die als Maßstab nehmen will, ist nicht teuer im internationalen Vergleich.

Das stimmt, aber wirtschaftlich sind die Berliner auch noch nicht so gut aufgestellt wie andere Städter. Hier gibt es neben Gutverdienenden viele Hartz-IV-Empfänger, oder?
Berlin ist in den letzten Jahren wirtschaftlich deutlich über dem Bundesdurchschnitt gewachsen. Als ich angefangen habe, in Berlin Politik zu machen, lag die Arbeitslosigkeit noch bei knapp 20 Prozent. Jetzt sind wir bei etwa acht Prozent. Allerdings sind die Einkommen nicht im gleichen Maße gestiegen wie beispielsweise die Mieten. Da haben wir Nachholbedarf. Aber die wirtschaftliche Entwicklung ist da und wir müssen dafür sorgen, dass die bei den Menschen in der Stadt ankommt.

Was wünschen Sie sich für diese Stadt in Hinblick auf Ernährung und Wirtschaft?
Ich finde die Entwicklung in der Berliner Gastroszene fantastisch und ich wünsche mir, dass die Vielseitigkeit im Angebot und in der Preisgestaltung erhalten bleibt – genau wie die Neugier und die Innovationsfreude. Wirtschaftlich wünsche ich mir, dass die Berliner Gastronomie als kulinarischer Hotspot viel weiter über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wird.

Ramona Pop 2

Und hoffen Sie konkret für den Großmarkt auf eine Entwicklung wie in Paris oder Barcelona: mit Produktionsstätten, gläsernen Manufakturen …
Ist so etwas in Deutschland überhaupt möglich? Die Ernährung hat in Deutschland leider einen anderen Stellenwert – vor allem im Vergleich zu den südlichen Ländern.

Die haben klare Wettervorteile.
Ja, und dadurch haben sie auch eine breitere Palette an Produkten. Aber nichtsdestotrotz: Wenn man sich das Bundesgebiet anschaut, haben alle Großmärkte einen gewissen Modernisierungsdruck. Unser Großmarkt hat darüber hinaus einen Modernisierungsbedarf. Wir werden Antworten auf die offenen Fragen finden und über unterschiedliche Konzepte nachdenken. Jetzt startet der Zukunftsdialog und ich freue mich darauf, dass da Neues entsteht.