Fotos: Selina Schrader Anastasia Zampounidis
Anastasia Zampounidis

„Ich habe in den letzten zwölf Jahren nie wieder Heiß­hunger gehabt“

Sie arbeitete als DJane, als Redakteurin bei verschiedenen Radiosendern, war Moderatorin beim Musiksender MTV. Die meisten kennen Anastasia Zampounidis durch ihre Live-Moderationen der Außenwetten bei „Wetten, dass ...?“. Sie blieb weiterhin dem Musikgenre treu, sowohl im Fernsehen als auch im Radio. Doch irgendwann interessierte sie das alltägliche Verhalten von Konsumenten. Und so deckte sie die Tücken und Tricks der Industrie für den Endverbraucher bei ZDFneo auf, im ZDF arbeitet sie bei der Doku-Reihe „WISO Konsumagenten“ mit. 2017 erschien ihr Buch „Für immer zuckerfrei“ und seit einiger Zeit berät sie die Küchencrew im Vox-Restaurant im Hyatt

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Wann hast du angefangen zuckerfrei zu leben? Und welchen Zucker genau hast du gemieden?
Anastasia Zampounidis: Im April 2006. Den weißen Industriezucker und alle Süßstoffe und -mittel, die metabolisch denselben Effekt haben. Der weiße Kristallzucker, der aus dem Labor kommt, ist ja ganz klar ungesund. Aber solche Süßungsmittel wie Agavendicksaft, Honig, Birken- oder Kokosblütenzucker, die allgemein als gesunderer Zucker angesehen werden, sind eigentlich einfach nur natürlicher, da diese nicht sofort aus dem Labor kommen. Aber auch die können bearbeitet werden, selbst beim Honig wird manchmal etwas reingemacht, aber es ist noch die natürlichere Form. Aber metabolisch gesehen hat es am Ende der Stoffwechselkette dieselbe Reaktion im Körper. Es kann die Zuckersucht etablieren und man behält die Heißhungerattacken, deswegen lasse ich die Sorten alle weg, aber auch Süßstoffe wie Aspartam und Zuckerersatzstoffe wie Stevia.

Dass Zucker und besonders Industriezucker für den Krebs wunderbares Futter ist, ist mittlerweile ja auch bekannt.
Für jede Entzündung im Körper ist Zucker wunderbares Futter, denn jede Entzündung stürzt sich darauf und lebt davon. Das kann MS oder Rheuma sein, Pickel oder Falten, oder auch eine Erkältung. Meine letzte Erkältung hatte ich im Sommer 2010. Früher lag ich einmal im Jahr eine Woche flach oder zwischendurch auch zwei, drei Tage. Jetzt kann es mal passieren, dass ich ein Halskratzen habe, aber das ist dann am nächsten Tag weg.

Du hast es aber auch aus einem bestimmten Grund heraus gemacht, richtig? Dir ist es nicht plötzlich eingefallen, dass Zucker schlecht ist, sondern du hattest ja auch körperliche Probleme?
Genau, ich hatte ja auch nichts darüber gelesen. Ich hatte Heißhungerattacken, also ich habe gemerkt, dass ich ein Problem mit Zucker habe und zuckersüchtig bin – ein sogenannter „Sugarholic“. Irgendwann hatte ich aber keine Lust mehr auf diese Attacken. Das war mehr wie ein fremdgesteuertes Verhalten, ob beim Einkaufen oder wenn ich um 23 Uhr auf dem Sofa lag und ferngesehen habe, auf einmal hat mich irgendeine Macht aufstehen lassen, selbst bei minus acht Grad im Berliner Winter. Ich bin zur nächsten Tanke gerannt und habe mir einen Eimer Eis, Chips oder Schokolade geholt. Und irgendwann fand ich das ziemlich doof. Ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle gefühlt, ich hatte mein Essverhalten nicht mehr unter Kontrolle.

Waren das denn nur diese ganzen Junkfood-Geschichten oder kam es auch vor, dass du nachts mal Hunger gekriegt hast auf ein Brot?
Nein. Ich hatte immer nur Heißhunger auf Zucker. Zucker, Zucker, Zucker. Und ich wusste damals noch nicht, dass in Chips auch ganz viel Zucker drin ist. Und das ist ja das Fatale, diese Kombination von Salz, Zucker und Fett. Die Produzenten, das sind ja die Enkelkinder von Satan und Luzifer in einem. Die sitzen wirklich jahrelang in einem Labor und testen, in welcher Kombination diese drei Stoffe – das sind ja alles Geschmacksträger – unser Hirn am meisten ausrastet, aber nicht umkippt. Wir kennen ja auch die Situation, dass etwas zu süß ist. Aber die testen das wirklich, die tüfteln jahrelang aus, wo dieser Blisspoint ist, dieser Punkt der Glückseligkeit, und das packen die dann in die Tüte Chips und wir sind voll drauf. Wir sind süchtig.

Du hast also Heißhungerattacken gehabt und dann?
Dann habe ich aufgehört Zucker zu essen. Diese Heißhungerattacken waren eigentlich der einzige Grund.

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Einfach so? Oder gab es auch ärztliche oder medizinische Gründe? Du hattest ja gesagt, dass du nichts darüber gelesen hattest. Du hattest das Gefühl, du begibst dich in Abhängigkeit von solchen Sachen.
Ich habe es vorher schon probiert, aber es ist mir nicht gelungen, da ich dachte, ich esse nur dann Zucker, wenn ich Eis, Schokolade oder Kuchen esse. Es wusste niemand, dass in Chips, Gewürzgurken und Salami auch Zucker drin ist. Keiner. Als ich dann mal Nackenschmerzen hatte, bin ich zu einer TCM-Ärztin gegangen und wollte eine alternative Schmerztherapie ausprobieren. Und die machen ja eine ausführliche Anamnese, die lassen einen ja nicht gehen. Du sitzt da zwei Stunden und wirst durchgecheckt und im Verlauf des Gespräches hat die Ärztin gemerkt, dass ich mich generell für Ernährung interessiere. Weil ich damals versucht habe, meiner Zuckersucht mit der griechischen mediterranen Küche ein bisschen entgegenzusteuern. Und es hat auch ganz gut geklappt, weil ich ansonsten adipös geworden wäre.
Und da hat sie mich gefragt, ob ich nicht Lust auf die Fünf-Elemente-Ernährung hätte und das gerne einmal ausprobieren möchte. Sie meinte, dass mir das gerade guttun könnte, um meinen Körper wieder ins Gleichgewicht zu kriegen. Sie hat mir einen Ernährungsplan gegeben und ganz oben standen zwei Punkte: Zum einen, ich darf nicht hungern. Und da habe ich schon gejubelt, endlich versteht mich jemand. Und das zweite war: kein Zucker mehr. Das war schwierig, aber ich habe mir das zu Herzen genommen. Von da an habe ich angefangen, mit der Lupe die Zutatenliste der Lebensmittel zu checken. Zuerst habe ich nichts verstanden und bin dann nach Hause gegangen und habe recherchiert. Danach bin ich aus allen Wolken gefallen.

Es ist erschreckend, wo überall und in welchen Lebensmitteln Zucker drin ist.
Und wir wissen nicht, warum. Aber es gibt Gründe.

Und dann hast du das rigoros abgelehnt und deine Ernährung komplett umgestellt? Ist dir denn nicht zwischendurch einfach mal eine Schokoladentorte im Traum erschienen?
Interessanterweise nein. Denn bei mir ist etwas passiert. Als ich die ersten Tage mitbekommen habe, dass selbst in meinem Putenaufschnitt, den ich damals als leicht und gesund wahrgenommen habe, Zucker drin ist, hatte ich fast Tränen in den Augen vor Entsetzen. Ich habe mich erst ohnmächtig gefühlt. Ich bin richtig wütend geworden auf eine Lebensmittelindustrie, die uns nach Strich und Faden verarscht, um uns auf ihre Produkte zu konditionieren. Für ihren Profit und auf unsere Kosten, auf Kosten unserer Gesundheit. So nach drei, vier, fünf Tagen war diese Wut so groß, dass diese in Aktionismus mutierte. Und zwar zu der Einstellung: Jetzt erst recht! Nicht mehr mit mir.
Ich war so richtig im Rausch, ich war so richtig im Tunnel und so euphorisch und ich dachte so: Jetzt habe ich endlich einen Weg der Befreiung gefunden, womit es mir auch besser geht. Und nach drei Wochen ging es mir auch sensationell. Schon nach dieser kurzen Zeit war das nicht mehr zu übersehen. Ich hatte nicht die Symptome, die mir viele Leser beschreiben als Reaktion auf das Buch. Manche haben Kopfschmerzen oder fühlen sich schlapp und haben schlechte Laune. Und das hält sich so zwischen einer und drei Wochen. So in dem Rahmen sind diese Entzugserscheinungen ganz normal – cold turkey. Aber nach drei Wochen geben die sich dann und der Heißhunger ist weg. Aber nur wenn man den Zucker komplett weglässt und nicht aus Versehen …

… wieder etwas mit Zucker reinschiebt.
Das sowieso. Ich halte ja auch Vorträge und Lesungen. Eine Frau meinte zum Beispiel, sie verzichtet seit drei Monaten auf Zucker und habe immer noch jeden Tag Heißhunger. Ich habe mich mit ihr unterhalten und herausgefunden, dass sie noch Stevia nimmt.

Du kannst also gar nichts nehmen?
Du kannst schon. Birkenzucker als Übergang ist super. Stevia, Kokosblütenzucker, Agavendicksaft und Honig eignen sich hervorragend. Diese Stoffe reagieren nicht ganz so extrem metabolisch wie Industriezucker. Da ist definitiv ein Unterschied.

Ein Leben ohne jeglichen Zucker – was hat das mit dir gemacht?
Ich habe mich ja komplett resettet und habe meine Geschmacksrezeptoren auf den Stand meiner Geburt zurückgebracht. Wir kommen nicht auf die Welt mit diesem Hunger nach der extremen Süße. Das heißt, wenn ich diese anderen Alternativen benutzen würde, würde ich mich ja wieder zu dieser extremen Süße hin konditionieren, was ich gar nicht brauche. Ich hatte heute Morgen Süßkartoffeln im Ofen – gebacken, gegrillt. Und mein Kiefer und mein Gaumen hatten ein Feuerwerk, so süß kam mir das vor. Und wenn ich jetzt wieder anfange mit alternativen Süßungsmitteln, konditioniere ich mich wieder zu dieser extremen Süße und empfinde dann die Süßkartoffel als gar nicht mehr so süß und das fände ich schade.

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Sagt dir heute nach zwölf Jahren dein Körpergefühl, dass du nie wieder Zucker brauchst?
Ja genau. Ich wollte ja diese Heißhungerattacken nicht mehr haben und die waren dann nach drei Wochen weg. Ich habe in den zwölf Jahren nie wieder Heißhunger gehabt. Krass oder? Ich habe Hungerattacken, aber da ist es egal, was ich esse. Es muss nichts Süßes sein, es muss nichts Bestimmtes sein. Hauptsache ich esse und werde satt.

Wie kann man denn Schritt für Schritt aus dieser Zuckerfalle herauskommen?
Deswegen habe ich das Buch geschrieben, um den Leuten davon zu erzählen. Und vielleicht ist es ein Anreiz. Wir haben ja eben schon über Erkältungen gesprochen, mein Zahnarzt hat natürlich seit Ewigkeiten schon nichts mehr gebohrt, ich schlafe besser, länger und auch durchgehend. Die Haut verjüngt sich, wird feinporiger und reiner. Ich habe abgenommen, obwohl ich ja gar nicht dick war. Zwei Kleidergrößen ohne zu hungern und das ist ja schon ziemlich sensationell. Das Nachmittagstief gibt es nicht mehr. Die PMS-Symptome haben sich harmonisiert und generell haben sich meine Stimmungsschwankungen etwas eingependelt, es ist alles etwas moderater geworden.

Mit Zucker passieren einige komische Dinge …
Der Insulinspiegel geht durch den Industriezucker ja rauf und runter. Wenn man unterzuckert ist, ist man leicht reizbar. Wenn jemand von heute auf morgen aufhören möchte, sollte er sich erst einmal gedanklich damit auseinandersetzen und sich selbst nach den eigenen Wünschen fragen. Gibt es einen Leidensdruck? Welcher Grund steht an vorderster Stelle? Und ich empfehle, sich einen Grund zu suchen, der nicht unbedingt das Ego füttert. Faltenreduktion und Abnehmen sind schöne Nebeneffekte, aber dann macht man es vielleicht drei Monate. Sich wirklich gut fühlen tut man nicht im Spiegel, sondern wenn man auf dem Sofa sitzt. Bei Gelenkschmerzen oder Arthrose hilft es auch. Ich habe eine Frau kennengelernt, die sehr fortgeschrittenes Rheuma hatte und durch eine zuckerfreie Ernährung ist es dann zurückgegangen.

Jetzt sind wir im Hyatt und du willst hier die Küche aufmischen und für zuckerfreies Essen sorgen?
Das stimmt so. Ich bin schon seit Ewigkeiten Gast in diesem Haus und habe 14 Jahre lang hinter der Neuen Nationalgalerie gewohnt, jetzt nicht mehr. Aber ob Berlinale oder Fashion Week – ich war hier sehr oft. Dann war ich auch noch ein paar Jahre Mitglied hier im Spa und habe hier viele Prominente für MTV interviewt. Und als ich gehört habe, dass man vielleicht darüber nachdenkt, das Essen etwas umzustellen, habe ich sofort gefragt, ob sie eine Beraterin brauchen. Und ich finde es super, dass ein so großes Haus sich traut. Eigentlich ist es ja fast unmöglich. Aber dann haben die mich gefragt, wie sie Schritt für Schritt damit anfangen könnten. Denn von heute auf morgen mein radikales Programm durchzuführen, würde auch nicht funktionieren. Und dann hat man sich ja auf diesen Schritt geeinigt. Und es gibt auch etwas ganz Zuckerfreies, damit ich hier auch essen gehen kann, und das finde ich großartig.

Also hast du die Chance, das hier auch zu realisieren?
Jeder bekommt hier alles was er will, bis auf den weißen Industriezucker, denn es wird jetzt mit Birkenzucker gekocht. Und das zuckerfreie Gericht ist von mir und deswegen kann man hier jetzt auch zuckerfrei essen. Eigentlich kann man das ja schon, wenn man Salat mit einer Gemüsebeilage und Reis isst. Bloß wenn man Sushi bestellt, sollte man wissen, dass da normalerweise Reissirup drin ist. Jetzt haben sie entweder Birkenzucker oder einen anderen. Und dieses Jahr werde ich zusammen mit dem Hyatt einen zuckerfreien Workshop anbieten.


Vox im Grand Hyatt
Marlene-Dietrich-Platz 2, Tiergarten, Tel. 030 25 53 17 72, www.vox-restaurant.de


Für immer zuckerfrei

Für immer zuckerfrei
Schlank, gesund und glücklich ohne das süße Gift
von Anastasia Zampounidis,
Bastei Lübbe, www.luebbe.de,
222 Seiten, 16 €