Fotos: Selina Schrader / HiPi Stephan Hentschel
Stephan Hentschel

„Vor zehn Jahren wussten wir noch nicht, wo die Reise hingeht“

Konventionen gab es damals wenige. Kaum ein Restaurant hat so viele Kontroversen ausgelöst wie das Cookies Cream. Vegetarisches Essen serviert auf weiß eingedeckten Tischen wie in der Gourmetklasse? Der Eingang ist bis heute versteckt, im letzten Winkel hinter dem zweiten Hinterhof, vorbei an Mülltonnen und ramponierten Requisiten der Oper. Das Cookies Cream hat mittlerweile seinen festen Platz in der hiesigen wie internationalen Restaurantszene. Das ist vor allen Dingen Stephan Hentschel zu verdanken. Er hat zehn Jahre lang an seine vegetarische Gourmet-Küche geglaubt

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Der Parmesanknödel – a never ending story. Warum ist der immer noch auf der Karte?
Stephan Hentschel: Weil wir ihn lieben. Wir verändern ihn immer mal wieder: Aktuell servieren wir ihn beispielsweise mit Trüffelfond und Spinat. Ursprünglich stammt unser Parmesanknödel von einem Kaspressknödel ab, einem eigentlich typisch Schweizer Knödel aus dem Tessin. Dabei handelt es sich um einen groben Serviettenknödel. Wir bringen sozusagen die feinere Variante dieses Knödels auf den Tisch, hergestellt ausschließlich aus dem weißen Teil des Brotes, Bio-Magerquark, Eigelb sowie jungem und altem Parmesan.

Wie viel Kompromisse machst du für deine Gäste?
Wir gehen auf unsere Gäste ein. Am besten ist es für uns, wenn sie bei der Reservierung schon ihre Unverträglichkeiten oder Allergien angeben. Da können wir uns vorher schon Gedanken machen, welche Gerichte wir ihnen anbieten. Wir sind aber flexibel.

Wie viel Freiraum hast du heute? Wie viel hattest du von Anfang an?
Ich genieße schon einen recht großen Freiraum. Ich mache die Vorschläge, welche Gerichte wir auf die Karte bringen wollen. Wir besprechen dann alles gemeinsam, testen und entscheiden dann. Zu Beginn war es so, dass wir noch Unterstützung von Michael Kempf (Küchenchef vom Facil und mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet, Anm. der Redaktion) hatten, wir vor mehr als zehn Jahren die Küche zusammen aufgebaut, uns ausgetauscht und dann zusammen mit Cookie die erste Karte entwickelt haben. Ich war ja am Anfang noch sehr jung, 25 Jahre alt, so wie das ganze Team noch sehr jung und unerfahren war. Da wir damals noch nicht wussten, wo die Reise hingeht, haben wir uns zu Beginn vermehrt Feedback von außerhalb geholt. Das hat sich mittlerweile geändert, heute ist es so, dass viele Kollegen zu uns kommen, um sich Ratschläge oder Ideen zu holen.

Du und dein Team wart in Berlin wohl die ersten ernstzunehmenden vegetarischen Gourmet- bzw. Gemüseköche?
Ja, und wir mussten uns da damals regelrecht reinfuchsen. Wir haben viel ausprobiert, experimentiert gerade mit unseren Kräuter- und Gemüse-Bauern. Es gab wenig Kochbücher oder Fachzeitschriften, die sich explizit mit dem Thema Gemüseküche auseinandergesetzt haben. Deshalb haben wir vermehrt in alten Kochbüchern geschaut, speziell um Gemüse haltbar zu machen und zu verarbeiten. Parallel dazu haben wir geschaut, was für Techniken wir aus der Fleischküche für unsere Gemüseküche nutzen konnten: Gemüse grillen, im Salzteig backen oder fermentieren – damals hat das kaum jemand gemacht.

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Wusstest du damals schon, dass dieses Konzept ein Lebenswerk bedeutet?
Damals noch nicht. Die ersten zwei Jahre waren nicht leicht, zwischenzeitlich haben wir sogar überlegt, die Karte des Cookies Cream mit Fleischgerichten zu ergänzen. Aber dass wir in Berlin grundsätzlich am richtigen Platz sind, hat man schon gemerkt. Um 2010 herum gab es dann einen deutlichen Schub, was die vegetarische Szene anbelangte. Dadurch, dass das Cookies Cream durch die internationalen Medien mehr Aufmerksamkeit erhalten hat.

War euch klar, das ihr auch altgediente Restaurantkritiker vor den Kopf stoßen würdet?
Na klar, und den meisten ging es dabei gar nicht um das Essen. Denen waren wir mit unserem Nachtclub viel zu weit weg von kulinarischer Seriosität.

Weißt du noch, wann der Eingang durch den trashigen Hinterhof zum Markenzeichen wurde?
Das Versteckte war schon immer Stilmittel von Cookie. Im ersten Cookies Cream, in der Charlottenstraße, war der Eingang mit einem Zahlenschloss versehen. Vor dem Besuch musste man anrufen und einen Code für den Abend erfragen. Beim zweiten Restaurant gab es einen Eingang direkt neben dem Clubeingang. Die ersten zwei Jahre hatten wir auch nicht die Varieté-Lichter über der Tür, wie heute – wer nicht wusste, dass das ein Restaurant ist, wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dort eines zu suchen. Dass das zum Markenzeichen geworden ist, wurde mir erst bewusst, als in Tel Aviv ein Cookies Cream mit einem identischen Eingang aufgemacht hat. Das war schon witzig – dabei handelt es sich bei diesem Ort nicht mal um ein Restaurant, sondern um eine Bar.

Was erwartet ihr von solchen Restaurantführern wie Gault Millau und Michelin?
Wir erwarten nichts. Die Restaurantführer sind ja für die Gäste bestimmt. Aber wir freuen uns, wenn die Arbeit unseres Teams positiven Anklang findet.

Was hat sich in den zehn Jahren geändert? An den Speisen, an den Gästen, an dir?
Ich bin erwachsener geworden, die Küche ist erwachsener geworden. Mittlerweile haben wir uns zu einem verantwortungsvoll-erwachsenen Betrieb entwickelt. Das sieht man zum Beispiel daran, dass sich unsere Mitarbeiteranzahl auf 20 Personen verdoppelt hat. Zusätzlich ist das Cookies Cream ein ausbildender Betrieb mit derzeit drei Auszubildenden – drei Köche haben in den vergangen Jahren bereits ihre Ausbildung bei uns abgeschlossen. Vor 10 Jahren wussten wir nicht, wo die Reise hingeht. Jetzt haben wir uns ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet und wir können dem Gast ein einmaliges Erlebnis bieten.

Und was hat sich an deinem Bart getan?
Tja, der Bart. Erst war nix. Dann gezwirbelt. Bartausfall. Jetzt steht er da.

Die Länge der Haare ist geblieben.
Ja. In der Küche trage ich einen Pferdeschwanz. Privat auch mal offen.

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Ernsthaft – was wird sich ändern? Wie ist das Zusammenspiel zwischen den Mitgliedern von Cookies World? Crackers und Data Kitchen – und Cookies Vorstellungen?
Ich bin gerade viel rumgekommen, hab viel nachgedacht und bin angereichert mit neuen Ideen und Tatendrang. Wir haben mit Jan Haring einen Top-Restaurantleiter aus der Traube Tonbach gewonnen. Wir haben eine neue Weinkarte mit Schwerpunkt auf Biodynamik und Naturweinen.
Seit zwei Jahren arbeiten wir wieder konstant mit unserem Bauern Peter Janoth in Krielow zusammen, dessen Hof wir gemeinsam instand setzen. Diese enge Zusammenarbeit hat natürlich direkte Auswirkungen auf unsere Karte im Cookies Cream. Über Bauer Peter habe ich Alex Brosin kennengelernt, der mittlerweile Küchenchef in der Data Kitchen ist. Alex ist sozusagen ein Bruder im Geiste, versteht mich total – unser Anspruch an die verarbeiteten Produkte und an Küche im Allgemeinen, wir ähneln einander sehr.
Unser neuer Küchenchef im Crackers, Daniel Lengsfeld, trägt durch seine Zeit als Küchenchef im Sra Bua eine gewisse Asia-Expertise in die Küchen der Cookies-Familie. Diese Entwicklung ist unglaublich spannend – nicht nur für mich als japanophiler Mensch. In der gesamten Cookies-Familie findet ein unglaublicher Austausch statt, von dem wir letztlich alle profitieren. Auch Cookie wächst von Jahr zu Jahr als wertvoller kulinarischer Sparringpartner: Er versteht mich mittlerweile immer besser, vertraut mir – und lässt mich machen.

Wo geht es für dich in Zukunft lang?
Der Weg für das Cookies Cream ist für mich klar: Lasst euch überraschen!

Cookies Cream
Behrenstraße 55, Mitte, Tel. 030 27 49 29 40, www.cookiescream.com