Fotos: Sebastian Fremder Bernd Matthies
Bernd Matthies

„Der Koch ist zum Star geworden“

Seit rund 30 Jahren arbeitet der Journalist Bernd Matthies als Redakteur beim Tagesspiegel. Neben seinen Artikeln und Glossen zum aktuellen politischen Leben hat er sich als Restaurantk­ritiker einen Namen gemacht

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Sebastian Fremder

Beschreiben Sie doch mal kurz den beruflichen Werdegang und den Weg zur Restaurantkritik.
Bernd Matthies: Das ist verhältnismäßig überschaubar. Ich habe die Henry-Nannen-Schule besucht, beim Tagespiegel angefangen – zuerst als Polizeireporter, dann mal dieses und jenes – und habe dann 1988 angefangen, Restaurant­kritiken zu schreiben. Die erste Kritik, die ich geschrieben habe, betraf das Restaurant im Esplanade, das hatte gerade eröffnet.

Wer hat da damals gekocht?
Keine Ahnung. Das ist ein ganz wichtiges Indiz der gastronomischen Entwicklung. Damals hat man sich für Köche nicht wirklich interessiert. Wenn es nicht gerade Bocuse oder Witzigmann waren. Kein Restaurantkritiker hat in den ersten Jahren einen Kochnamen genannt, es sei denn er stand im Restaurant­namen drin oder es war einer von den bekannten. Das war eine völlig andere Situation als heute.

Wann fing das in Berlin an mit der Restaurantkritik?
Die ersten Restaurantkritiken gab es, soweit ich mich erinnere, schon im Abend. Der war so ein bisschen boulevardesk, vielleicht vergleichbar mit dem, was die B.Z. heute macht. Und dann gab es damals die Kostprobe in der Süddeutschen, die galt damals als Vorbild, weil es nichts anderes gab. Wir haben auf der Vorlage der Süddeutschen damit angefangen.

Dann erschien immer wöchentlich, am Wochenende, eine Kritik.
Das hopste immer hin und her. Die Kritik erschien am Samstag, dann lange Zeit am Sonntag, jetzt am Freitag. Mal sehen, was demnächst geplant ist. Wir dachten, es gäbe maximal vielleicht 50 Läden, über die es sich zu schreiben lohnt. Und der Rest ist Geschichte. Es kam der Mauerfall und dann ging es immer weiter. In der Jury der Meisterköche hatten wir damals drei Vertreter vom Verband der Köche dabei. Die haben die Kochwelt nicht mehr so richtig verstanden und legten noch Wert auf die Sättigungsbeilage. Da wurde noch ganz konventionell gekocht. Ein Beispiel, woran man die Veränderung sehr gut sehen kann: Im Esplanade gab es einen Gang, der war damals der Gipfel des Machbaren, es war eine Wachtelbrust auf Linsen. Heute wäre das ordentliche Bistro-Küche. Das war damals hohe Küche und das Menü kostete 125 Mark.

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Was hat sich den letzten 30 Jahren verändert?
Es gab Wellen und es gab lineare Ent­wicklungen. Die lineare Ent­wicklung ist: der Koch ist zum Star geworden. Auch wenn es manchmal grauen­haft ist. Die Küche ist extrem persona­lisiert. Es gibt kaum noch etwas, was aus der Küche rausge­tragen wird und fertig ist. Der Koch steht dann persönlich am Tisch und gießt zum Beispiel Saucen an. Was ich mit Wellen meine ist, dass sich Berlin x-mal gewandelt hat. Erst kam die Wende, der Osten machte auf und zog die Aufmerksamkeit auf sich, mit der Folge, dass der Westen unterging. Dann waren die 90er, in denen die Küche von Hotels getragen wurde. Das First Floor im Palace Hotel oder der Hugenotte im Intercontinental waren typische Beispiele. Dorthin fielen die Sterne, da wurde aufwendig gekocht, das war aus deren Sicht Marketing. Wir erinnern uns, dass das Adlon z.B. ohne – wie wir das heute nennen – Fine Dining aufgemacht hat. Da gab’s ja nix.

Stimmt, Hendrik Otto kam später.
Der erste Schub, der Berlin zu dem gemacht hat, was es heute ist, war der Millenniumswirbel. Das Margaux eröffnete mit Michael Hoffmann, das Vau hat angefangen, das war eines der ersten neuen, außerhalb von Hotels. Die hiesige Gastronomie hat sich erst weiterentwickelt, dann gab es auch wieder einen Durchhänger, der dann mit der Fußball-WM und dem Touristenboom aufgefangen wurde. Der dann zwangsläufig auch Leute hergeschafft hat, die sich für Essen interessieren. Und damit ist jetzt erst das letzte Tal überwunden. Und seitdem geht es so einigermaßen kontinuierlich weiter.

Es ist spürbar, dass die Hotellerie abbaut? Z.B. das Waldorf Astoria.
Na ja, die haben sehr lange durchgehalten, bis es ihnen dann doch irgendwann zu teuer wurde. Aber im Grunde ist das mit den Hotels vorbei. Seit der Fußball-WM und den vielen Gründungen, seit der Erfindung der Torstraße und Neukölln. Überall gibt es plötzlich neue Restaurants. Das ist eine gute Entwicklung, wenn man sich überlegt, dass man noch in den 90ern nur in teuren Luxus­restaurants gut im handwerklichen Sinne essen konnte. Heute findet man gutes Essen in unzähligen Läden, die alle nicht was Großes reißen wollen, aber einfach für nicht so viel Geld gute Küche anbieten. Das gab‘s damals überhaupt nicht. Sowas wie Lode & Stijn oder eins44. Das jetzt eigenständige Leute ohne Riesenanspruch und ohne das Schielen nach dem Stern kochen, das ist die aktuelle Entwicklung, die den Hotels endgültig das Wasser abgegraben hat.

Vielen Gäste gehen heute lieber mehrmals aus als an einem Abend ein Vermögen zu bezahlen.
Das ist sicher so. Aber es gibt auch Leute, da spielt das keine Rolle. Die kommen angereist, haben drei Monate vorher bei Tim Raue einen Tisch gebucht und ob das dann 400 oder 600 Euro kostet, ist denen ganz egal. Wahrscheinlich wissen sie nicht mal den Umrechnungskurs.

Was nervt an der aktuellen Entwicklung?
Nerven? Höchstens die Überstilisierung, das Totquatschen der Dinge, die der Gast nicht hören will. Es gibt Restaurants, da wird man drei Minuten vollgetextet und isst das dann in 30 Sekunden auf, was vor einem auf dem Teller liegt. Das ist ein Missverhältnis. Vor lauter eigener Wichtigkeit vergessen manche Leute, dass sie dazu da sind, den Leuten das Essen zu servieren und keinen Vortrag zu halten. Eine gewisse Zwanghaftigkeit im Gesamtkonzept geht mir auch ein bisschen auf die Nerven. Zum Beispiel dass ich, wenn ich eine bestimmte Art von Küche habe, dazu auch immer nur eine bestimmte Art von Wein kriege.

Sie spielen auf Naturweine an und religiöse Tische, an denen Gäste wie Jünger sitzen?
Ja, aber auch auf die Küche, die in dieser extremen Weise nur in Berlin zu haben ist. Also diese Wurzel-Fermentierungs-Kräuter-Küche. Zu jedem Essen gehört scheinbar im Augenblick so ein Naturwein. Ich finde sowieso, dass das Thema Essen und Wein ein bisschen zu sehr aufgebauscht wird. Wenn ich 12 Gänge esse oder 12 verschiedene Dinge auf dem Teller habe, dann fehlt mir die Konzentration und die Lust, zu überlegen, ob der Wein da jetzt wirklich dazu passt. Das ist mir zu kopfmäßig und zu überdreht.

Fällt das gute Essen und der Spaß dabei unter den Tisch?
Restaurants sind ja ein bisschen dabei, in den Kunstbereich zu driften, nicht nur in Berlin. Manchmal hat man den Eindruck, man ist eher bei einer Performance als beim Essen.

Ist das nicht vielleicht eine Generationsfrage? Dieses Verwirrspiel, dass das Essen die Hauptrolle spielt und nicht der Abend mit einem Essen mit Freunden und Bekannten?
Als Kritiker mit einem langen Berufsleben ist man natürlich immer in der Gefahr, einzurosten und zu denken, die alten Maßstäbe seien die einzig gültigen. Deshalb darf man nicht alles in die Tonne treten, was dazu nicht passt, sondern muss schon darauf achten, für neue Konzepte offen zu bleiben, ohne den eigenen Geschmack ganz aufzugeben.

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Thema Food-Blogger: Gehören sie zu einer Bewegung, die im eigenen Süppchen schwimmt?
Es gibt verschiedene Szenen. Wer mit wem, erkennt man daran, wer sich bei Facebook die Bälle zuwirft. Es ist tatsächlich so, dass viele ganz kuschelig sind. Die finden das, was sie machen, ganz supertoll und möchten, dass wir von außen immer bestätigen, wie super und toll das ist. Und es gibt natürlich Blogger, auch gekaufte Blogs, wo man sich für wenig Geld das bestätigen lassen kann. Das erzeugt eine Stimmung, in der man sich als sachbezogener Kritiker manchmal wie der Spielverderber vorkommt. Deswegen ist meine notorische Distanz auch ganz wichtig.

Ist es eigentlich voraussehbar, wo die Karawane hinziehen wird?
Naja, die Innenstadt ist die Innenstadt, außerhalb des S-Bahn-Rings wird glaube ich nie viel passieren. Wir kriegen die Mauerzeiten nicht zurück, wo alles Gute am Stadtrand war. Der S-Bahn-Ring bleibt und da drinnen wird man ausprobieren müssen, was finanz­technisch geht, wo man Restaurants machen kann und wo die Touristen­ströme sind. Ich denke mal, dieses endlos zähe Kapitel „Die Westcity kommt zurück“ hat sicher noch ein gewisses Potential. Mit der Kantstraße hat es auch dank Master Duc funktioniert.

Es hat aber auch das Lansk im alten Westen zugemacht.
Es ist ein Beweis, dass man mit einer zwar guten, aber nicht profilierten Küche eben keinen Erfolg mehr hat. Man muss schon eine eigene Handschrift haben. Und wichtig ist auch, dass man nicht einfach so hinplumpst und sagt: hier bin ich, sondern dass man auch Kontakte hat. So Sachen wie das Lode & Stijn sind ja so rausgewachsene Supper Clubs, eine ganze Szene, die sehr vernetzt ist, und da gibt es Leute, die sich ewig kennen. Einfach so als guter Koch, der bei Witzigmann oder so gelernt hat, da fehlt dann irgendwie die Glaubwürdigkeit oder der erste Zug, dass erst mal Leute da sind. Und keiner von uns geht in ein Restaurant, wo man der einzige Gast ist. Wenn man das sieht, dreht man ab. Wenn der Laden voll ist, stellt man sich hin und wartet.

Was hat sich am Food­journalismus geändert? Ist seriöser Journalismus zukunftsfähig?
Viele Amateurblogs existieren nur noch auf dem Papier. Da ist sehr viel schon wieder verschwunden. Die der ersten Stunde haben keinen Bock mehr. Und dann gibt es die Blogs, die eigentlich eher bezahlte Presse­erklärungs­schleudern sind. Dann gibt es ein paar Blogs, die für mich wichtig sind. Nicht, weil es unmittelbar meine Arbeit trifft, aber weil ich durch Sternefresser oder Trois Etoiles einen Überblick über die Welt habe, den ich sonst nicht hätte. Man muss nicht immer der gleichen Meinung sein, aber man erfährt, was dort passiert. Und das ist das, was immer noch wichtig ist, dass man mit einer gewissen Nachvoll­ziehbarkeit aufschreibt, was es da gibt und warum das gut oder schlecht ist. Reine Aufzählung ist zu wenig, wissen­schaftliche Analyse bis hin zu forensischer Pathologie ist mir zu viel. Aber man muss schon beschreiben können, warum es einem schmeckt und was der Hintergrund davon ist. Das wird nach wie vor seinen Markt haben, in welcher Form das stattfindet, ob das Gedruckte noch von großem Wert ist, das weiß ich nicht.