Fotos: Selina Schrader / HiPi Aufmacher Moritz Estermann
Moritz Estermann

„Das entspricht mir und meiner Persönlichkeit“

Die beiden bekannten Gastronomen Stephan Landwehr und Boris Radczun haben es nicht so mit öffentlichen Bekanntmachungen. Dass Moritz Estermann zur Führungsriege des Unternehmens Grill Royal und Co. gehört, ist den meisten noch nicht geläufig. Der gebürtige Schweizer ist jedoch zur Zeit die treibende Kraft, wenn es um das Einstein Unter den Linden und das Kin Dee geht

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Wie lange arbeitest du schon mit den Grill-Jungs – so heißen intern die beiden Chefs, Stephan Landwehr und Boris Radczun?
Moritz Estermann: Ich arbeite seit fünf Jahren in der Geschäftsführung und zwei Jahre davor habe ich extern die Presse gemacht. Also arbeite ich mit ihnen seit sieben Jahren und in der Firma seit fünf.

Was für eine steile Karriere! Hast du viel Geld mit in die Firma gebracht?
(lacht) Ich habe viel Enthusiasmus in die Firma eingebracht.

Im Ernst – wie kam es zu diesem Job?
Ich bin einfach reingerutscht. Ich habe damals mit der Pressearbeit angefangen, weil Silke Neumann, eine Freundin von mir, Mitarbeiter für ein Projekt gesucht hat. Das hat Spaß gemacht – und dann hat sich das so entwickelt. Der Grill war von Anfang an einer ihrer Kunden, und den habe ich übernommen. Weil ich mich eben auch für Kulinarik interessiert habe. Der Pauly Saal bzw. die Jüdische Mädchenschule wurde zu meinem Projekt. Die Arbeit ging über neun Monate lang, mit Eröffnung, Vorbericht und Nachbearbeitung. Und da habe ich die Grill-Jungs sehr gut kennengelernt, da wir sehr eng zusammengearbeitet haben.

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Das war noch Pressearbeit?
Genau. Dann hatte ich mich eigentlich schon dazu entschlossen, aufzuhören mit der Presse­arbeit und mich schon bei ein paar Restaurants als Küchenmensch beworben. Ich wollte das professioneller angehen mit der Kulinarik.

Küchenmensch – du wolltest Koch lernen?
Ich wollte kochen, also richtig kochen lernen. Und dann haben die Jungs mich angerufen und gefragt, ob ich nicht Lust hätte bei ihnen einzusteigen. Und dann war das schnell besiegelt. Für mich war das der perfekte Vorschlag.

Dann also Geschäftsführung?
Genau. Und das ist, wie so vieles, etwas anders als in anderen Firmen, es ist eine Art Familienunternehmen. Ich habe ganz bewusst erstmal alles mitgemacht: Die ganzen Buchhaltungsabläufe, intern mit den ganzen Managern, auch Veranstaltungsplanung usw., um das Ganze zu verstehen. Wenn man die Basis, die grundlegenden Abläufe nicht versteht, dann neigt man dazu, falsche Entscheidungen zu treffen, die die Leute dann befolgen müssen. Ich war damals 28 Jahre alt und jünger als alle anderen, und habe mir darüber meine Position erarbeitet. Meiner Meinung nach kann man Menschen einzig und allein motivieren und von der eigenen Kompetenz überzeugen, wenn man sich für sie und ihre Arbeit interessiert, für ihre Arbeit mitdenkt und etwas dazu beitragen kann.

Woher kam deine Beziehung zur Kulinarik? Von der Familie oder einfach nur dadurch, dass du gerne essen gehst oder mit Freunden kochst?
Ich bin in der Schweiz aufgewachsen. Da ist das noch mal anders mit dem Einkaufen und den Märkten und den Produkten. Als ich 2003 nach Berlin gekommen bin, war das für mich ein Kulturschock in diesem Bereich. Ich dachte: Was ist denn das? Also warum kann ich denn jetzt nicht normal einkaufen gehen? Warum muss ich durch die halbe Stadt fahren, um ein gutes Stück Fleisch zu kaufen?

Oder gutes Brot … 
Ja, das sowieso. Wie gesagt, Kulinarik war schon immer mein Ding. Deshalb habe ich eben auch daran gedacht, das professionell anzugehen. Bis ich tatsächlich daran gedacht habe, Koch zu werden.

Das willst du aber heute nicht mehr oder?
Koch werden? Nein! Da hab ich großen Res­pekt vor. Das ist ein Knochenjob und man kann sagen was man will, Köche arbeiten wirklich hart und lange. Sie ziehen zuverlässig alles durch und bringen kontinuierlich immer wieder die gleiche Qualität auf den Teller.

Mittlerweile habt ihr Köche mit großen Namen: Roel Lintermans im Grill Royal, Sauli Kemppainen im Petit Royal, dann erfolgreiche Quereinsteiger wie Victoria Eliasdóttir im Dóttir und jetzt gerade Dalad Kambhu im Kin Dee. Wie findet ihr diese Köche?
Das sind Momente, die sich ein bisschen so wie Fügung anfühlen. Wir strecken die Fühler aus und plötzlich passieren die Dinge einfach. Beispiel Roel: Er suchte eine neue Herausforderung und unser Küchenchef im Grill Royal hat einen neuen Job an der Ostsee angenommen. Das hat sich einfach so gefügt, ganz reibungslos. Der Entschluss stand davor bereits fest, dass wir kulinarisch weiterkommen und uns an der Spitze etablieren wollen. Und da geht’s jetzt nicht unbedingt um Sterneküche, sondern um qualitativ hochwertiges Essen, mit guten Zutaten und gut zubereitet.

Arne Anker vom Pauly Saal ist euch wohl auch zugeflogen. Dabei habt ihr aber nicht damit gerechnet, dass ihr einen Stern bekommt?
Arne Anker hat tatsächlich eine Laufbahn, die auf einen Stern hinzielte. Da hat er auch nie ei­nen Hehl daraus gemacht. Aber mit dieser Anforderung sind wir nicht an ihn herangetreten.

Beim Le Petit Royale hat es ein bisschen länger gedauert.
Ja, das war ein Ausprobieren, und jetzt ist Sauli Kemppainen Küchenchef. Der hat sich vor Jahren bereits schon einen Namen in Berlin gemacht, in der Quadriga vom Brandenburger Hof. Er war eine Zeitlang in Moskau und zum Schluss auch wieder in Helsinki. Jetzt ist er samt Frau und Kind hierher gezogen.

Bist du für alle Restaurants zuständig?
Wir haben die Grill Royal GmbH, da gehört der Grill, der Pauly Saal, das Le Petit Royal und das Dóttir dazu, dann gibt es das Einstein Unter den Linden, wo ich auch Partner bin, wie auch im neuen Kin Dee, zusammen mit Dalad – das sind drei verschiedene Firmen. Also so richtig hand on bin ich im Augenblick im Einstein und im Kin Dee.

Das Einstein ist eher sang- und klanglos in euren Verantwortungsbereich gekommen.
Seit dem 1. Januar 2016, also seit einem Jahr und drei Monaten.

Was ich oberflächlich bemerke, ist, dass das Mobiliar ein bisschen gesünder aussieht.
Es gab einige Herausforderungen. Es war vieles vordergründig am Laufen, aber hinten hat’s halt gebröckelt.

Die Lage Unter den Linden bedeutet zudem eine spe­zielle Herausforderung: Es ist eine touristische Laufgegend, dann die Nähe zur Politik, gleichzeitig die Ansprüche der Business-Welt und auch noch der durchschnittliche Gast, der hier abends gerne mal essen will. Wie bringt man das unter einen Hut?
Das ist das Interessante, das Spannende am Einstein. Medienmenschen und Politiker gehören zu unseren Stammgästen. Gleichzeitig bringen die Touristen ein bisschen mehr Leben rein. Keiner will nur Leute im Anzug im Restaurant sitzen haben, auch nicht nur Menschen in Freizeitbekleidung mit Rucksäcken – das Einstein ist ein Ort, wo jeder hinkommen kann.

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Ich habe lange nicht begriffen, dass es hinten einen öffentlich zugänglichen Restaurantbereich gibt.
Das Einstein war vor allem für das Frühstück, für Kaffee und Kuchen bekannt. Dass man hier auch ungezwungen zu Mittag und hervorragend zu Abend essen kann, das war halt vielen nicht bewusst. Heute gibt es wochentags nur noch bis zwölf Uhr Frühstück, danach die Lunch-Karte, weil wir eben auch ein österreichisches Restaurant sind.

Kulinarisch ist Sigi Danler verantwortlich?
Ihm gefällt es gut hier, es ist genau seine Küche. Und das Team findet ihn super, weil er ein guter Lehrer ist.

Noch eine Herausforderung – es gibt viele Mitarbeiter, die schon ewig hier dabei sind.
Das ist auch gewollt. Wir haben jede Person, die hier weiter arbeiten wollte, übernommen. Klar haben wir andere Vorstellung in gewissen Bereichen als die Vorgänger. Dabei suchen wir das Gespräch und versuchen zu eruieren, ob das überhaupt das ist, was die Person hier noch machen will. Ein paar neue Leute kommen, ein paar alte sind gegangen. Bisher und hoffentlich weiterhin ist die Zusammenarbeit von gegenseitigem Respekt geprägt.

Was heißt das jetzt für dich, den Hut hier im Einstein aufzuhaben?
Ich bin offizieller Geschäftsführer, wobei ich sagen muss, dass Karl-Heinz Lubojanski, eine Berliner Legende, das Gesicht, also der Gastgeber vom Einstein ist.

Das ist mittlerweile schon fast Tradition in all euren Restaurants.
Im Kin Dee wird es Dalad sein. Im Moment beansprucht sie das Kochen noch sehr, aber mittelfristig wird sie die Gastgeberin sein.

Es sind zwei Extreme – hier das eher konventionelle, bodenständige Einstein Unter den Linden, dort das zeitgemäße, experimentelle Thai-Restaurant Kin Dee.
Das entspricht mir und meiner Persönlichkeit. Ich gehe gern mal sonntags an weiß gedeckten Tischen essen, mag aber auch in der Markthalle Neun kleine Snacks aus der Hand zu essen. Ich besuche Sterne-Restaurants, aber auch das Kingsize zum Abstürzen.

Was wird sich für dich in den nächsten Jahren ergeben?
Es muss nicht immer mehr sein. Wie sich die Art der Arbeit verändert, das ist für mich spannend. Am Anfang war ich noch viel mehr im Tagesgeschäft. Dadurch, dass es mehr Läden sind, versuche ich clevere Strukturen aufzubauen, Mitarbeiter zu fördern und erkenne, was man an wen abgeben kann. Sonst wird das der Wahnsinn, wenn man alles an sich reißt. Das sollte man vermeiden. Ich merke, wann und wo ich gefordert bin. Ich freue mich, dass die Köche immer wieder für Überraschungen sorgen. Im Dóttir zum Beispiel. Da kommen jeden Tag neue Ideen, was man kochen könnte.

Dann bist du ja nur am Essen – getarnt unter dem Begriff Testen?
Nein! Blödsinn …

Gib’s zu.
Na, man muss ja wissen, was los ist. (lacht) Ne, ich liebe das auch einfach.

Das ist ja auch der schönste Teil der Arbeit.
Ja, und auch die Zusammenarbeit mit den Menschen.

Einstein Unter den Linden
Unter den Linden 42, Mitte, www.einstein-udl.com
Grill Royal
Friedrichstraße 105b, Mitte, www.grillroyal.com
Kin Dee
Lützowstraße 81, Tiergarten, www.kindeeberlin.com
Le Petit Royal
Grolmanstraße 59, Charlottenburg, www.lepetitroyal.de
Pauly Saal
Auguststraße 11-13, Mitte, www.paulysaal.com