Fotos: Selina Schrader / HiPi Aufmacher Ursula Hudson
Ursula Hudson

„Viele Nahrungsmittel kommen wie Autos zustande“

Ein Treffen mit Ursula Hudson ist nie langweilig. Die Vorsitzende von Slow Food Deutschland ist nicht nur national, sondern auch international tätig. Die Kultur­wissen­schaftlerin besitzt ein ungeheures Wissen über Lebensmittel und deren Produktionsformen

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Entstanden ist Slow Food als Gegenbewegung zu Fast Food.
Ursula Hudson: Ja, das war die Idee. Italien hatte gerade seinen Methanol-Weinskandal hinter sich. Das war 1986.

Das ist ein Alkohol, der als Frostschutzmittel Verwendung findet.
Genau! Es gab einige Todesfälle und danach lag der italienische Weinbau darnieder. Die Produktion lief zwar noch, aber der Abverkauf nicht mehr. Vor allen Dingen nicht ins Ausland. Zeitgleich eröffnete McDonald’s seine Filiale in Rom und die Weinwirtschaft musste wieder ans Laufen gebracht werden. Das war wohl der Anlass. Das Protestessen auf der spanischen Treppe ist eine nette, medial gut verwertbare Geschichte. Aber hat mit dem Ursprung wenig zu tun.

Slow Food ist eine relativ junge Bewegung und innerhalb der letzten 30 Jahre zu einer internationalen Bewegung gewachsen.
Mittlerweile ist Slow Food in 170 Ländern vertreten.

Und Sie sind seit 2011 Vorsitzende in Deutschland …
Ja, ich sitze aber auch im Vorstand auf der internationalen Ebene. Ich sehe schon, was sich in der Welt tut und in der Slow-Food-Welt. Es kommen viele neue Gruppen in verschiedenen Ländern dazu. Um einem Missverständnis vorzubeugen, das heißt nicht, dass Slow Food eine Durchdringung in 170 Ländern hat. Es sind Menschen, die sich engagieren, mal in kleineren und größeren Konglomeraten oder Convivien, wie wir das auch nennen. Aber die Kreativität und auch die Bemühungen, die jeweils eigenen kulturell spezifischen Esstraditionen, Anbau-traditionen, Landwirtschaft und so weiter zu erhalten, die sind schon ziemlich groß.

Hat die EU der Bewegung einen Strich durch die Rechnung gemacht? Hat sie durch ihre Verordnungen die regionalen Produkte und deren Produktion verdrängt?
Ja, sehr deutlich. Aber es sind zwei Seiten: Auf der einen geht es in Brüssel auch um die Interessen an großen industriellen Produktionsweisen und damit werden die kleinen Unternehmen vom Markt verdrängt. Auf der anderen Seite nehmen wir mal ein konkretes Beispiel. Bulgarien ist relativ frisch in der EU. Ein Ehepaar, beide treiben die Slow-Food-Bewegung in Bulgarien an, sie ist Biologin und engagiert sich für den Erhalt des regional Typischen, für kleinteilige Bauernproduktion. Für beide steht jedoch fest, dass mit der EU-Einführung gewisser Standards bei der Sicherheit oder Hygiene tatsächlich die Todesfälle aufgrund von unhygienischer Produktion extrem zurückgegangen sind. Es hat eben zwei Seiten. Und diese Seite, die vergesse ich auch immer.
Man darf nicht vergessen, dass eine Küchen­produktion nicht immer unter guten und idealen hygienischen Bedingungen abläuft, so dass dann ein Produkt auch marktfähig ist. Zunächst sind die jeweils typischen Produktions­weisen, die ja die Vielfalt des Geschmacks und der Lebensmittel ausmachen, etwas Positives. Unsere Aufgabe ist es, diese in international marktfähige Rahmenbedingungen zu bringen. Daran arbeitet Slow Food in den Balkan­staaten sehr intensiv. Es gibt ein wunderbares Projekt, das ESSEDRA heißt (Environmentally Sustainable Socio-Economic Development of Rural Areas). Und die haben erstmal versucht, die regional typischen Lebensmittel­pflanzen, die Sorten, die Tier-Rassen und dem was man daraus macht, überhaupt zu identifizieren und zu verorten. Und dann mit lokalen Interessen­verbänden zu versuchen, dass diese Produkte marktfähig werden.

Marktfähig heißt?
Verkaufbar. Also nicht nur für den Eigenbedarf oder nicht nur für die nähere Verwandtschaft zu produzieren. Um innerhalb wirtschaftlicher Beziehungen zu bestehen, muss ein Produkt eine gewisse Sicherheit haben.

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Fangen wir also mal klein an. Wenn zum Beispiel in einem sardischen Dorf die Großmutter einen guten Schafskäse produziert, müssen die Standards in ihrer Küche so gegeben sein, dass man den Schafskäse an den heimischen Wirt verkaufen kann und dieser ihn wiederum in einem Salat verarbeitet, der wiederum einem Gast serviert werden kann.
Die Standards dürfen nicht so hoch­gezogen werden, dass nur in Edelstahl- oder in Plastik­ausstattung produziert werden darf. Sie müssen einer handwerklich traditionellen Lebensmittel­produktion angepasst werden. Und da steckt genau das Problem. Die Standards in Brüssel werden so hoch gesetzt, da sie für große Konzerne, also für Massen­produktion gelten müssen. Wenn Tausende an Lebensmitteln am Tag produziert werden, dann müssen die einem Sicherheits­standard genügen. Das Dumme ist nur, dass bei diesem Sicherheits­denken in den Köpfen von vielen Leuten Qualität mit Sicherheit gleichgesetzt wird. Das ist ein Irrtum!

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass durch Massenproduktion und deren rigide Kontrolle dennoch die Lebensmittel­skandale und Fehler nicht unbedingt unterbunden werden.
Das liegt an diesen großen Produk­tionseinheiten. Wenn da was schief läuft, dann aber ordentlich. Ich bin ein großer Verfechter der Rohmilch oder der zertifizierten Rohmilch, der Vorzugsmilch, und damit auch des Roh­milchkäses. Die steht unter ständiger Anfechtung aus Brüssel. Gefährlich sei das, heißt es immer. Wenn ich dann frage, woher kamen eigentlich die letzten großen Lebensmittelskandale? Dann kommen die nicht von sauber und gut arbeitenden, kleinen Bauern und ihrer zertifizierten Rohmilch, nicht von einem verantwortungs­vollen Käser, sondern sie kommen aus der Großproduktion.

Großproduktion heißt, dass Lebensmittel wie Pkws zusammengeschraubt werden, also zum Beispiel Schweine am Fließband zerteilt werden.
Das ist genau das Problem. Durch politische Steuerung werden immer ausgeprägtere Mono­strukturen und Spezialisierungsstruk­turen geschaffen. Und Nahrungsmittel kommen wie Autos zustande. Es kommen die Komponenten von überall aus der Welt zusammen, die nennt man dann Agrarrohstoffe.

Wäre es überhaupt in Zukunft möglich, dass man über kleinteilige Strukturen eine Bevölkerung versorgen könnte?
Ja klar. Da gibt es viele, viele Studien und Belege, die sagen: das geht. Man muss die kleinteiligen Strukturen wieder aufbauen, wir dürfen ja nicht vergessen, dass die Verarbeitungs­kette zwischen Urproduktion, landwirtschaftlicher und dann vielleicht handwerklicher Produktion, wie ein Bäcker oder ein Metzger, ja weg ist. Die hat man mit viel Geld abgeschafft durch Zentralisierung. Getreidemühlen, Schlachthöfe, zum Teil auch Ölmühlen gibt es nicht mehr. Die Regionalstrukturen sind weg. Und jedes Beschwören und Verklären von politischer Seite von z.B. Regionalstrukturen und Regionalität ist ein vollkommener Witz. Das klappt nicht, wenn man nicht die kleinteiligen Strukturen wieder aufbaut.
Und dazu gehört vor allen Dingen die vorgelagerte Verarbeitungs­kette im Handwerk. Wenn der Bauer seine Schweine erst einmal 400 Kilometer zu einem Großschlachthof fahren muss, dann brauchen wir nicht mehr über kleinteilige Strukturen, die funktionieren, nachzudenken. Wichtig ist es räumlich, kleinteilige Ernährungs­strukturen wieder aufzubauen. In Deutschland sind die Regionen so unterschiedlich, dass sich die einen für den Ackerbau und die anderen mehr für die Weidewirtschaft eignen. Und nicht jede Region kann sich selbst versorgen. Das geht nicht. Aber die Möglichkeit, eine wirklich lokale Ernährungs­sicherung zu betreiben, das wäre durchaus möglich, wenn der politische Wille dazu da wäre.

Jetzt brechen wir es mal runter: In Berlin und Brandenburg hat sich, was Regionalität betrifft, ja einiges getan.
Da hat sich viel getan. Aber die große Problemstelle in Berlin-Brandenburg ist der Gemüseanbau. Den gibt’s nämlich so gut wie nicht. Das hat historische Gründe. Nach 1989 waren die Großstrukturen erstmal weg und damit ist über einen relativ kurzen Zeitraum von 20 Jahren das Wissen über Gemüseproduktion weggebrochen. Das Gemüse kommt also von überall her. Wenn man in Berlin die Gemeinschaftsverpflegung, also Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, umstellen wollte auf regionale Beschaffung? Da könnte man viel im Getreidebereich tun, im Fleischbereich, bei den Milchprodukten vielleicht, man könnte viel umstellen auf regionale Beschaffung. Aber bei Gemüse, und dann vielleicht noch auf ökologischer Basis, da ist kaum etwas vorhanden.

Liegt das auch daran, dass jetzt Ackerland mittlerweile so teuer geworden ist, dass sich das kein Mensch mehr leisten kann?
Das hat damit zu tun, dass konfligierende Ressource-Ziele ausgegeben werden. Zum Beispiel bei der angestrebten Energiewende. Der Bedarf an nachwachsenden Energiepflanzen treibt die Bodenpreise hoch. Und verführt den Bauern dazu, sehr viel mehr Mais oder andere Monokulturen anzubauen.

Zurück zur Hauptstadt Berlin. Urban Gardening und Urban Farming findet ja immer mehr und mehr Anhänger. Ist eine Zukunftstheorie, dass die Landwirtschaft immer mehr in die Städte einzieht oder ist das verklärte Stadtattitüde?
Es wird beides geben müssen. Die Städte sind ja unterschiedlich mit Freiflächen für Anbau versehen. Da stellt sich die Frage, wie viel kann da realistisch produziert werden. Ich denke, in Zukunft wird Land­gestaltung von der Stadt aus gedacht. Die Stadt braucht das Land für die Ernährung. Und da muss es eine viel engere Zusammen­arbeit geben. Das Land ist ja nicht nur Bringer von Lebensmitteln, sondern dient auch zur Erholung der Städter. Das gemein­same Denken von Stadt und Land wird eine ganz große Aufgabe in der Zukunft sein. Die innerstädtischen Versorgungs­einheiten wie Urban Gardening werden mit dem, was auf dem Land geschieht zusammen­wachsen.

Slow Food Deutschland e.V.
Geschäftsstelle: Luisenstraße 45, Mitte, Tel. 030 20 00 47 50, www.slowfood.de